Rezension

Hier spürt man die Macht der Kriegstraumata durch Generationen rennen

Altes Land - Dörte Hansen

Altes Land
von Dörte Hansen

Bewertet mit 5 Sternen

Altes Land von Dörte Hansen ist ein Roman, der mich bereits mit den ersten Sätzen gefesselt hat. Es liegt an der Sprache der Autorin. Sie weiß, wie man mit wenigen Worten eine Atmosphäre schaffen kann, um seine Leserschaft direkt in die Geschichte hinein zu katapultieren. Noch dazu, wenn diese eine ähnlich gelagerte Familienchronologie aufzuweisen haben, wie die Protagonisten in ihrem Buch.

Die Rede ist erstens von Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg, die denjenigen Haus- und Wohnungsbesitzern zugewiesen wurden, die das Glück hatten, nicht ausgebombt zu sein. Da musste so manch Schatten übersprungen werden. Wie auch im Fall von Vera und ihrer Mutter Hildegard von Kamcke, die aus Ostpreußen vertrieben, geflüchtet, alles verloren, an der Tür von Ida Eckhoff klopften, um Einlass zu bekommen. Ida gehört zur zweiten Kategorie Mensch, von Hansen als alteingesessenen Menschen vom Land beschrieben. Ida hat viel verloren im Krieg und wartet nun auf ihren Sohn. Erst ist sie glücklich, dass an ihrem Karl wirklich kein Glied verloren ging. Außer seiner Seele, doch das merkt sie erst auf den zweiten, schmerzhaften Blick. Die Damen Eckhoff und von Kamcke schenken sich nichts, fechten alles aus, ob es um Nahrung für Vera geht, oder um das Bleiberecht für Hildegard. Die schnappt sich erst mal Karl als Ehemann und Vater für Vera. Anzumerken ist noch die hohe Begabung für Musik in der Familie der von Kamckes, die im Roman einen starken Part erhält.

Zwei Generationen weiter sind da Anne und ihr Sohn Leon. Anne ist die Tochter von Veras sehr viel jüngeren Halbschwester Marlene. Anne, frisch getrennt von ihrem untreuen Partner, flüchtet zu Tante Vera aufs Land. Die lernt auf die raue Art ihre Nachbarn kennen, genauso wie die bodenständigen Kindergärtnerinnen, die nicht viel Aufhebens um Essenswünsche der Kleinen, anders als in Hamburg, machen. Mit überspitzter Feder beschreibt Hansen, wie die Mütter in den wohlbehüteten Gegenden der Großstadt über ihre Kinder wachen, immer das richtige zum Anziehen und auch die anderen Begebenheiten stimmen müssen. Anne, Musikbegabt und in dieser Sache willig, bis ihr als Musikgenie geborener Bruder Thomas ihr das Zuhause regelrecht stiehlt, schwankt zwischen Handwerksberufung und Musiklehrerin. Und kommt so gar nicht damit klar, ihren Ex in ihrem Leben wegen des gemeinsamen Sohnes dulden zu müssen. Denn eigentlich will sie losgelöst von allem eine Zukunft für sich und Leon aufbauen.

Und dann sind da noch die unglaublichen Gegensätze zwischen alten Obstbauern, die mit viel Chemie und rigoroser Bewirtschaftung dem Boden alles abverlangen und Biobauern, die mit wenig Ernte auch noch die große Kohle einfahren. Dazwischen gibt es noch diese unverschämten Städter, die aufs Land flüchten, um Bauern zu spielen, dem Stress der großen weiten Welt ausgewichen sind und alles besser wissen. Wie Hansen nun in kursiv gesetzten Worten die Meinungen ihrer Protagonisten immer wieder Ausdruck verleiht ist köstlich, humorig, sehr treffend, der Wiedererkennungswert hoch. Jeder kämpft um sein bisschen Glück, nur Vera und ihr alter Nachbar Heinrich Lührs, seit Kindheitstagen an befreundet, versuchen es mal ohne.

Wie die Autorin die Traumata des Krieges mit wenigen Worten und Taten beschreibt, rührt mich persönlich am meisten. Dass diese Kriegskinder aufgrund ihrer Erlebnisse fürs Leben gezeichnet sind und ihre Handlungen für viele nicht unbedingt nachvollziehbar, habe ich selbst ertragen müssen. Nun sind andere Dinge von essenzieller Bedeutung, wie die Figur der Anna aufzeigt. Doch die Spuren der Vergangenheit durchkreuzen auch die Zukunftsträume von ihr immer wieder.

Unbedingt Lesenswert.