Rezension

Highlight auf dem Sektor der Kriminalreihen

Der zweite Reiter - Alex Beer

Der zweite Reiter
von Alex Beer

Bewertet mit 5 Sternen

Glücklich ist, wer vergisst

„Er dachte an seinen Beruf und daran, wie hart er stets gearbeitet hatte, um dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Alles vergebens. Alles umsonst. Die Menschen waren es nicht wert, gerettet zu werden.“

Inhalt

Rayonsinspektor August Emmerich ermittelt hier in seinem ersten Fall, der ihn in die dunklen Gassen und Kneipen Wiens nach dem ersten Weltkrieg führt. Mehrere Todesfälle, die zusammenzuhängen scheinen, säumen seinen Weg. Doch seine eigenen Ermittlungen sind nicht erwünscht, denn seine Vorgesetzten glauben nicht an Tötungsdelikte, wollen Emmerichs Arbeit lieber unterbinden und setzen ihn stattdessen auf den stadtbekannten Schmugglerring an, dessen Chef ein alter Bekannter des Inspektors aus Kindertagen ist.

Aber Emmerich gibt keine Ruhe und seine Gegner müssen schwere Geschütze auffahren, um den Ermittler auszuschalten. Plötzlich wird er selbst verhaftet, weil er angeblich der Mörder sein soll und keinen interessieren seine Unschuldsbeteuerungen. August Emmerich gelingt die Flucht aus dem Gefängnis und er taucht nun als Flüchtling selbst ab, stellt aber umso engagierter Nachforschungen an, welcher Zusammenhang zwischen den vielen Toten besteht. Als er auf ein altes Foto stößt, wird die Gemeinsamkeit aller schnell deutlich: sie waren Soldaten in Galizien und sind dort durch brutale Foltermorde bekannt geworden – steht der Rächer nun auf der Seite der Guten und übt Selbstjustiz, oder handelt es sich um den einzigen Mann auf dem Bild, dessen Gesicht unkenntlich gemacht wurde …

Meinung

Bereits mehrfach bin ich auf die Kriminalreihe um den Inspektor Emmerich aufmerksam gemacht worden und habe das Buch nun im Rahmen einer Challenge aus dem Regal geholt, um mir ein eigenes Urteil zu bilden. Und auch mich konnte dieser Krimi, der 2017 mit dem Leo-Perutz-Preis ausgezeichnet wurde, vollends überzeugen.

Normalerweise lese ich lieber Thriller, weil dort die psychologische Komponente des Mörders im Zentrum steht und weniger die mühsame Polizeiarbeit der Ermittler, doch dieser Krimi hat ganz andere Qualitäten.

Zunächst einmal entwirft er ein realistisches Bild der damaligen Umstände und Lebenssituation, er nimmt den Leser direkt mit auf die Straßen Wiens und zeigt förmlich nebenbei die gesellschaftlichen Bedingungen auf. Er sensibilisiert den Leser für die große Armut, die vielen Kriegsverletzten, die Trinker, Bettler und Drogenabhängigen, die ihr Leben nur noch ertragen, indem sie irgendwie den nächsten Tag überleben. Für Frauen, die sich prostituieren, die ihre Kinder kaum durchbekommen und deren Lebenserwartung so niedrig ist, wie ihr Geld für eine warme Mahlzeit. Und er zeigt auch das andere Gesicht der Weltstadt, wo es für all jene, die es mit der Wahrheit nicht so ernst nehmen, die ein oder andere Lücke gibt und die Möglichkeit durch glückliche Zufälle an ungeahnte Reichtümer zu gelangen. Und mittendrin steht August Emmerich, der es meist nicht so genau mit dem Gesetz nimmt, sich aber konsequent auf die Seite der Armen und Geschundenen stellt, die er zwar nicht alle retten kann, aber ihnen wenigstens zu Gerechtigkeit verhelfen möchte.

Alex Beer schafft eine besondere Atmosphäre, fast filmreife Szenen, sympathische Protagonisten und eine temporeiche, von vielen glücklichen Umständen begleitete Erzählung, die ich mit zunehmender Begeisterung gelesen habe.

Die Kapitel sind angenehm kurz und der Stil animiert zum Weiterlesen, weil sich alles recht dramatisch entwickelt und gekonnt auf das Finale zusteuert. Tatsächlich bekommt man hier als Leser wesentlich mehr als eine Kriminalhandlung präsentiert – es ist vielmehr ein Abtauchen in die Erzählung selbst. Wunderbar sympathisch auch die Zeichnung des Hauptprotagonisten und dessen Assistenten Ferdinand Winter – zwei ganz unterschiedliche Menschen, die zunächst mit großer Skepsis dem anderen begegnen, dann aber ein immer besseres, eingespieltes Team werden.

Fazit

Ich freue mich, dass ich nun noch weitere 3 Bände dieser Serie vor mir habe und vergebe begeisterte 5 Lesesterne für den Auftakt der Reihe. Dieser Krimi kombiniert eine geschickte Handlung mit einem historischen Sittengemälde und starken, einprägsamen Figuren, die man schnell ins Herz schließt. Man erlebt immer wieder überraschende Wendungen und findet gerade den Einfallsreichtum von August Emmerich verblüffend und amüsant.

Für mich definitiv ein Lieblingsbuch und das erste Highlight im Kalenderjahr! Ich werde diese Reihe zeitnah weiterverfolgen und mich mit anderen Ermittlungen des Rayonsinspektors, der es nun endlich in seine bevorzugte Abteilung „Leib und Leben“ geschafft hat und sich im folgenden gleich von Anfang an um die Mordermittlungen in der österreichischen Hauptstadt kümmern darf.