Rezension

Historie - hier um Philosophenschiffe - und Fiktion gut verknüpft.

Das Philosophenschiff -

Das Philosophenschiff
von Michael Köhlmeier

Bewertet mit 4 Sternen

Das Cover zeigt ein Dampfschiff  in der Ferne, von steinigem Ufer wolkenverhangen dargestellt – passend zum Buchtitel und in gedämpfter Farbgebung den Romaninhalt heraufbeschwörend.  Das PHILOSOPHENSCHIFF ist eigentlich ein Sammelbegriff für mindestens fünf Schiffe, mit denen im Jahr 1922 unliebsame Personen in großer Zahl aus Sowjetrussland ins Ausland abgeschoben wurden. Die Verbindung zwischen dieser realen Historie und der Fiktion, nämlich der Biografie der einst  international tätigen Architektin Anouk Perleman-Jacob, ist kreativ in einem sachlichen Schreibstil  verwoben. Das Szenarium beginnt in St. Petersburg mit Schilderung ihres Lebens bis zum 14. Lebensjahr in intellektuellen Kreisen, sympathisierend mit den  Bolschewiki, die Behandlung von Juden unter dem Diktat des Zaren anprangernd. Über den Finnischen Meerbusen und die Ostsee in Richtung Deutsches Reich kommen sie 1922 in Berlin im Exil an. Auch in Paris verweilt die Familie einige Jahre aufgrund eines Lehrauftrages des Vaters. Ende der Sechzigerjahre hält sich die Hauptfigur auch in den USA auf, arbeitet an der Texas A&M University-Corpus Christi , immer noch verfolgt von deutlichen Erinnerungen an ihr Leben hinter dem Eisernen Vorhang. In Zeitsprüngen wird wiederholt auf die Überfahrt auf dem Luxusdampfer und ihre 12 Personen auf dem 3. Deck und auf Lenin auf dem 1. Deck eingegangen, die Atmosphäre von Angst und Bespitzelung herauf beschwörend. Randfiguren wie die amerikanische Assistentin und Freundin Alice Winegard oder den Präsidenten des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins Dr. Mahler beleben den Roman. Zurückversetzt in das bewegte Jahrhundert rund um Lenin, Trotzki und Konsorten ins bolschewistische Russland erfährt der Leser viel über das politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Leben der Intelligenzija.