Rezension

Historisch interessant, doch es fehlt an Spannung

Das Nordseekind -

Das Nordseekind
von Tilman Spreckelsen

Bewertet mit 3 Sternen

REZENSION – Nachdem die ersten vier Krimis des Schriftstellers und Journalisten Tilman Spreckelsen (56) um den jungen Anwalt, Dichter und nun auch Ermittler Theodor Storm (1817-1888), deren erster Band „Das Nordseegrab“ (2014) mit dem Theodor-Storm-Preis ausgezeichnet wurde, als Taschenbuchreihe im Fischer Verlag veröffentlicht wurden, erschien Spreckelsens fünfter Storm-Krimi „Das Nordseekind“ nun im April beim Aufbau Verlag. Doch trotz dieses überraschenden Verlagswechsels unterscheidet sich der neue Krimi in keiner Weise von den früheren: Die Handlung bezieht sich wie gewohnt auf wahre Begebenheiten rund um Husum und das damals zu Dänemark gehörende Herzogtum Schleswig, die Storm auch selbst später in seinen Novellen verarbeitete. So liest man über die Ereignisse um das „Nordseekind“ im Jahr 1845 auch in Storms erst zwölf Jahre später veröffentlichter Novelle „Auf dem Staatshof“ (1857).

Im „Nordseekind“ bekommt der erst 28-jährige Anwalt Theodor Storm, der sich weniger für die Juristerei als viel mehr für Dichtung und Chorgesang interessiert – zwei Jahre zuvor hatte er mit dem „Singverein“ den ersten gemischten Chor für Frauen- und Männerstimmen in Husum gegründet –, in seiner Kanzlei unangemeldeten Besuch einer Frau. Diese behauptet, Erbin eines Vermögens auf der Nordseehalbinsel Eiderstedt zu sein. Sie sei nach der Ermordung ihrer Eltern als dreijähriges Kind entführt und so um ihr rechtmäßiges Erbe gebracht worden, das sie sich nun mit Storms Hilfe zurückholen wolle. Ihr plötzliches Auftreten sorgt in Husum für Aufsehen und bei den jetzigen Eigentümern des Familienbesitzes für Aufregung. Doch trotz der dringlichen Forderung, sich ihres Falles anzunehmen, lehnt Storm zunächst ab, da er sich von der aufdringlichen und unglaubwürdig erscheinenden Frau nur belästigt fühlt. Als es allerdings zu ersten Morden kommt, die mit der Geschichte der Frau in direktem Zusammenhang zu stehen scheinen, nimmt Storm, unterstützt von seinem Schreiber Peter Söt, die Ermittlungen auf.

In die Kriminalhandlung des Jahres 1845 ist als Hintergrundgeschichte die Sage um die Wogenmänner aus dem 14. Jahrhundert eingebunden: Damals hatten sich viele durch Sturmfluten heimat- und brotlos gewordene Fischer und Bauern zu einer ihre Umwelt terrorisierenden Räuberbande auf der Halbinsel Eiderstedt zusammengerottet. Durch Raubzüge und Überfälle auf kleine Gehöfte und Enterung kleiner Handelsschiffe verbreiteten sie Angst und Schrecken, entführten Mädchen und Frauen. Vergewaltigungen, Mord und Totschlag waren in der Region an der Tagesordnung.

Dies alles – die Geschichte der Wogenmänner wie auch die Lebenssituation in und um Husum zur Mitte des 19. Jahrhundert – ist, von Spreckelsen bis ins Kleinste recherchiert, sehr lebendig und eindrucksvoll beschrieben. Allerdings hat er sich als Autor bewusst dichterischer Freiheiten bedient, um aus den historischen Fakten einen unterhaltsamen Roman machen zu können. Entsprechend hat er auch die historisch nachweisbaren Personen in seinem Sinn charakterlich verfremdet. Als Beispiel sei hier Storms damalige Verlobte und spätere Ehefrau, seine Cousine Constanze Esmarch (1825-1865), erwähnt: Während die wahre Constanze sich zeitgemäß ihrem Ehemann unterordnete, ist sie bei Spreckelsen die Aktivere von beiden, die Storm so manches Mal antreibt und zur Aufklärung seiner Fälle beiträgt. Storms historisch realen Kanzleischreiber Peter Söt macht Spreckelsen – als literarische Anleihe bei Conan Doyles Ermittler Sherlock Holmes und Dr. Watson – in seinem Roman zu dessen Ermittlungshelfer und Erzähler.

„Das Nordseekind“ überzeugt mehr durch die authentische Beschreibung der historischen Kulisse und weniger durch Spannung. So manches Mal dümpelt die Handlung vor sich hin wie ein kleiner Kutter im Husumer Hafen. Wer Action sucht, liegt hier also falsch. Wer sich aber für Husum, die „graue Stadt am Meer“, und das alte Herzogtum Schleswig interessiert, dem wird der Krimi sicher gefallen. Anschließend ist man versucht, sich die Novelle „Auf dem Staatshof“ vorzunehmen, in der Theodor Storm den Verfall dieses historischen Anwesens und das kurze Leben der letzten Erbin schildert.