Rezension

Informativ und berührend

Nachts ist es leise in Teheran - Shida Bazyar

Nachts ist es leise in Teheran
von Shida Bazyar

Bewertet mit 4.5 Sternen

Dieser Roman ist eine aufrüttelnde Familiengeschichte zwischen Revolution, Flucht und deutscher Gegenwart. Erzählt wird er aus den Ich-Perspektiven von vier iranischen Familienmitgliedern in einem Zeitfenster von 40 Jahren.

1979 kämpft Behsad, ein junger kommunistischer Revolutionär nach der Vertreibung des Schahs für eine neue Ordnung.

„Seit der Revolution, seit Khomeinis Rückkehr, seit seiner nagenden, wachsenden Macht sind es für mich Warnungen aus der vorrevolutionären Zeit, die sich anfühlt, als wäre sie Jahrzehnte her. Wir hätten früher anfangen sollen, sie uns genau anzuhören, hätten, noch bevor wir sagten: Sie sind der erste Schritt!, überlegen sollen, ob sie nicht der erste Schritt in die falsche Richtung sind, und ob wir den Schritt nicht doch auch ohne sie gehen können.“ (S. 42)

1989 wird aus Nahid’s Sicht von ihrer Flucht mit Behsad und ihren gemeinsamen Kindern erzählt. Sie wollen zurückkehren in den Iran, suchen aber zugleich in Deutschland eine neue Heimat.

„Ein Paket von meiner Mutter, mit Geburtstagsgeschenken für Laleh und mit Trostgeschenken für Morad, mit getrockneten Kräutern und Pistazien, getrockneten Limonen und Berberitzen. Und eine Tüte schwarzen Tees, der nicht in Beuteln versteckt wurde, der nach Zimt und Karadamom riecht, den Behsads Mutter meiner Mutter geschickt hat, damit sie ihn uns schickt. Kein Brief von ihr, aber der Tee war Gruß genug, Sorge und Vorwurf und Liebkosung in einem.“ (S. 111)

1999 reist ihre gemeinsame Tochter Laleh mit ihrer Schwester und ihrer Mutter nach Teheran zu Besuch und lernt ein Land kennen, das sich nur schwer mit den Erinnerungen ihrer Kindheit und ihrer iranisch-deutschen Mentalität deckt.

„Ich würde einiges dafür geben, diese Dinge nicht zu wissen. Die Drogen kosten hier weniger als ein Liter Milch, hat mein Onkel abfällig gesagt, Das ist ein Mittel, die Leute dumm zu halten. Religion ist Opium für das Volk, aber dieses Volk braucht das Opium, um vor der Religion zu flüchten. Dann nicken alle, und das sind Informationen, die nichts mit mir und meinen Erlebnissen hier zu tun haben. So wenig wie die Folterungen in den Gefängnissen, so wenig wie die Zerstörung von Persepolis, so wenig wie die altpersischen Dichter.“ (S. 184/185)

2009 beobachtet ihr Bruder Mo skeptisch die pseudoengagierten Demos deutscher Studenten, während die Grüne Revolution in Teheran ausbricht und seine Welt auf den Kopf stellt.

„Wer weiß, was nicht vielleicht schon in den nächsten Stunden passieren wird. Vielleicht etwas so Brisantes und Aufregendes, dass es die Veränderung direkt hierher zu uns bringt, dass unsere Eltern vielleicht endlich ihren Frieden finden, denn irgendwie war das doch immer das, was zu ihrem Glück fehlte: am Ende doch zu gewinnen, gegen das, was sie hierherschickte. Wie muss es sich wohl anfühlen, wenn man Eltern hat, die plötzlich vom Warten erlöst werden? Eltern, die auch einmal gewonnen haben?“ (S. 223)

Aufwühlend und anrührend erzählt Shida Bazyar eine Geschichte, die ihren Anfang 1979 in Teheran nimmt und den Bogen spannt bis in die deutsche Gegenwart. Der Autorin gelingt ein dichtes, zartes und mitreißendes Familienmosaik. Und ein hochaktueller, bewegender Roman über Revolution, Unterdrückung, Widerstand und den unbedingten Wunsch nach Freiheit.

Vor allem aber konnte mich dieser Roman überzeugen, weil er die Gelegenheit bietet, sich in die Gefühlswelt der vier Protagonisten hineinzuversetzen. Geschichtliches Umfeld, Tradition, Erziehung, Gefühls- und Gedankenwelt erlebt man als Leser hautnah mit. Durch die Art der Erzählung setzt sich nach und nach ein Bild zusammen, das von Hoffnungen und Ängsten durchsetzt ist und auch Unterschiede zwischen iranischer und deutscher Mentalität aufzeigt. Dieser Roman bewirkt ein gewisses Verstehen und manchmal auch ein Verständnis für die Personen, für ihre Probleme und ihre Verhaltensweisen.

Einige iranische Begriffe wurden nicht im Text übersetzt, sind dafür jedoch am Ende des Buches im Glossar erklärt, was ich als völlig ausreichend empfand. Störend für den Lesefluss war allerdings für mich, dass Anfang und Ende der wörtlichen Rede nicht immer ersichtlich sind. Der Roman war allerdings so interessant und anschaulich geschrieben, dass dies den Lesegenuss nicht gravierend schmälern konnte.

„Nachts ist es leise in Teheran“ ist ein Buch, das ich jedem empfehlen kann, der etwas über den Iran und die Menschen erfahren möchte – ein Buch, das einen Ehrenplatz in meinem Bücherregal erhält.