Rezension

Ironisches Zukunftsszenario mit Denkanstößen

Dolfi und Marilyn - François Saintonge

Dolfi und Marilyn
von François Saintonge

Bewertet mit 4 Sternen

Paris, wir schreiben das Jahr 2060. Dank eines Tombolagewinnes seiner Ex-Frau in einem Supermarkt geraten Tycho Mercier und sein Sohn Bruno in den Genuss eines Adolf Hitler-Klons, auch A.H.6 genannt. Dolfi, wie ihn Bruno tauft, ist das sechste Exemplar aus einer Serie von 12 Repliken, hat aber so gar nichts mit dem Spender seines genetischen Codes gemein. Statt nach der Weltherrschaft zu trachten erfreut er sich schon an Kakao und Mineralwasser, weil dies so schön auf der Zunge prickelt. Trotz seines Sanftmutes ist der Besitz von A.H.6 verboten, aber Tycho bringt es einfach nicht über das Herz Dolfi im Liquidationszentrum abzugeben weshalb die Behörden nun auf ihn aufmerksam werden. Als er dann auch noch der Raubkopie Marilyn Monroes von seinem verstorbenen Nachbarn Unterschlupf gewährt ist der Ärger vorprogrammiert.

Nachdem der nichtsahnende Tycho Mercier eines Tages nach Hause kommt und Adolf Hitler in seinem Lesesessel vorfindet ist er erstmal geschockt und möchte ihn zur Enttäuschung seines Sohnes schnellstmöglich wieder loswerden, was sich als schwieriges Unterfangen herausstellt. Tycho verspürt in der neuen Situation eine große Hilflosigkeit, empfindet aber auch ethische und moralische Zweifel. Einerseits möchte er niemanden im Haus haben, der wie Hitler aussieht, andererseits kann er es auch nicht mit seinem Gewissen vereinbaren den naiven Klon zu entsorgen oder auszusetzen.

Langsam wird der Leser erstmal in die Materie des Klones und die Vorgeschichte des Protagonisten eingeführt. Sehr gut beschrieben fand ich dabei die "Produktion" der Repliken. Es erinnerte mich sehr stark an die heutige Massentierhaltung, wo die Tiere durch Wachstumshormone und manipulierte Bedingungen viel schneller wachsen, um dann geschlachtet zu werden. Auch den Klonen wird nicht die benötigte Zeit zugestanden, sondern neben ein paar Jahren Erziehung und Drill für ihre späteren Aufgaben verbringen sie die meiste Zeit in Wachstumslösungen. Auf dieses geringe biologische Alter lässt sich dann auch ihre stets präsente Naivität und Unselbstständigkeit zurückführen.

Fazit: Die anfänglich witzige Idee gewinnt mit jedem Kapitel an Tiefgang, um dann im letzten Viertel ein gruseliges Zukunftsszenario zu beschreiben, welches so abwegig gar nicht ist. Gekonnt zeichnet Francois Saintonge ein überspitztes Bild unserer modernen Welt, dass uns sowohl augenzwinkernd als auch warnend den Spiegel unseres waghalsigen Umgangs mit der Natur vorhält.

Sprachlich hat mir das Buch wirklich sehr gut gefallen, so dass ich es innerhalb von nur zwei Tagen verschlungen habe. Der Autor schafft es die Botschaft zu vermitteln, dass jede Person nur die Summe ihrer Erlebnisse und Erfahrungen ist und das Böse uns nicht mit den Genen mitgegeben wird. Dass dazu solch eine geschichtsträchtige Person gewählt werden musste war daher unumgänglich und so kommt man auch um so manche Assoziationen aus dem dritten Reich nicht umhin. Allein die Tatsache, wie unter anderem mit den ausrangierten Klonen verfahren wird, ähnelt dem NS-Regime und ihren Ideologien erschreckend, in welcher Menschen ebenfalls kategorisiert und in 'wertvoll' und 'unwichtig' klassifiziert werden. Saintonge schafft hier meiner Meinung nach sehr gut eine Verknüpfung zur damaligen Zeit, auch wenn ich ohne A.H.6 sicher nicht ganz so schnell auf diesem Vergleich gekommen wäre.