Rezension

Jahreszeiten einer großen Liebe

Die vier Liebeszeiten
von Birgit Rabisch

Bewertet mit 5 Sternen

Der Roman erzählt die Geschichte einer Liebe, einer großen Liebe, einer unerschütterlichen Liebe, einer unendlichen Liebe. Die Geschichte von Rena und Hauke, zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein können, die sich aber im Frühling ihres Lebens so selbstverständlich und unaufgeregt finden, als ob sie schon immer vom Schicksal füreinander bestimmt gewesen sind.
Rena, von ihrer Mutter ungeliebt und verlassen und ohne Wissen, wer ihr Vater ist, wächst in ärmlichen Verhältnissen im Norden der nachkriegsmiefigen Bundesrepublik auf. Die Frau, die Rena Oma nennt, ist eigentlich eine Fremde, sie umsorgt das Mädchen aber mit Herzenswärme und Lebensklugheit, weckt seine Neugier auf das Leben und das Lernen.

Als der plötzliche Tod ihr Oma Anna entreißt, kommt Rena in die neue Familie ihrer Mutter Erika, wo sie auf wenig Liebe und viel Unverständnis stößt. Der Geist des Aufbruchs der 60-er Jahre ist ihre Rettung. Sie begehrt auf und geht mit der Nüchternheit und Zielstrebigkeit der zukünftigen Wissenschaftlerin ihren Weg, der sie schnurstracks zu Hauke führt, dem Träumer und Schöngeist. Er ist von nun an ihr Anker in den Stürmen des Lebens.

Obwohl sie sich nie vor einem Altar ewige Liebe und Treue geschworen haben, leben sie genau diese altmodischen Werte und ich hatte beim Lesen immer das Bild jener Freundschaftsketten im Auge, an denen jeweils die Hälfte eines auseinandergebrochenen Herzens hängt. Genau wie diese Hälften sind Rena und Hauke perfekt zueinander passende, wiedervereinte Teile eines Ganzen. Ihre Liebe ist der Kitt, der sie mehr als vierzig Jahre zusammenhält und durch die Jahreszeiten ihres Lebens begleitet.
Birgit Rabisch gelingt es scheinbar mühelos, die raue Schönheit ihrer norddeutschen Heimat, deren Kargheit, die - oberflächlich betrachtet - auch auf ihre Bewohner abfärbt, in ihrem neuesten Roman darzustellen. Wenn man wie ich am Anfang Schwierigkeiten hat, mit den Figuren warm zu werden, dann ist das gewiss nicht ihrem schriftstellerischen Unvermögen anzulasten. Ganz im Gegenteil: Frau Rabisch erschuf glaubwürdige Charaktere mit der etwas unterkühlt wirkenden Mentalität der Nordlichter", an die ich mich erst gewöhnen musste.

Am Anfang verwirrten mich manche Begriffe der Seemannssprache und ich gestehe, dass ich bis heute nicht weiß, was Schulps", Plicht" oder Pricken" sind. Aber ich habe mich geweigert, die Poesie des Textes durch das Nachschlagen dieser Wörter zu entzaubern, die man auch einfach intuitiv verstehen kann. Für diese kleine Verwirrung entschädigten mich dann wunderbar fantasievolle Sprachbilder wie: Das Watt ist nur eine Leihgabe des Wassers, das dem Mond nachläuft..."

Mit dieser Mischung aus sprachlicher Nüchternheit, Poesie und hanseatischem Dialekt wird das Leben zweier Menschen erzählt, das in seinen vier Liebeszeiten genau das alles widerspiegelt. Es kommt mir schier unmöglich vor, mir Rena und Hauke woanders als am Hamburger Elbufer oder auf Segeltörn in Richtung Wattenmeer vorzustellen. Hier leben und lieben sie ein Leben, das wie im Auf und Ab der Gezeiten Glück und Unglück bringt.

Rena macht Karriere als Astronomin. Sie sieht im Himmel das Weltall mit Sternen, Planeten, Quasaren und der rätselhaften Schwarzen Materie, aber auch die Sternbilder, die ihr einst Oma Anna gezeigt und damit ihr Interesse für Astronomie geweckt hatte. Damit schlägt sie die Brücke zu Hauke, dem Schriftsteller, der sich nicht in den Literaturbetrieb einpassen lassen will, sondern lieber das schreibt, was ihm wichtig ist, seinem Lesepublikum mitzuteilen. Der dafür in Kauf nimmt, dass er nie ein Bestsellerautor sein wird und seine Romane - nach einem viel beachteten Erstlingswerk über Gentechnologie - nur mehr von kleinen Verlagen herausgebracht werden.

Zumindest hier, wie auch in der Beschreibung von Renas Kindheit bei Oma Anna, wird auch der Leser, der bis dahin mit dem Leben und Werk von Birgit Rabisch nur durch die Angaben auf dem Buchrücken bekannt geworden ist, autobiografische Parallelen zum Leben und Schaffen der Autorin bemerken. Inwieweit die vier Liebeszeiten von Rena und Hauke auch das Leben der Autorin widerspiegeln, kann ich nicht sagen. Das ist auch nicht wichtig, denn das fiktive Leben der Beiden berührt, mich sogar so weit, dass mir die Tränen kamen, was mir nicht oft beim Lesen eines Buches passiert.

Jeder kann etwas aus seinem eigenen (Er-)Leben in den vier Liebeszeiten Renas und Haukes wiederfinden. Die Liebe und der Tod sind die zwei großen Konstanten im Leben wohl jedes Menschen. Und wohl jeder hat wohl schon einmal so oder so ähnlich wie Rena gefühlt:

"Das Glück ist ja immer nur momentweise zu haben [...], ragt wie eine Insel aus dem Meer der vergehenden Zeit. [...] Wie sinnlos ist es, das Meer trockenlegen zu wollen? Vielleicht schafft es ein Yogi durch jahrzehntelanges Training jeden Moment in seinem Leben bewusst wahrzunehmen, doch ist das ein glückliches Leben? Führt die Besessenheit, jeden Moment nicht nur zu leben, sondern erleben zu wollen, nicht genauso zu einer Leere wie das völlig achtlose Dahinleben? Ist das Festland ohne Seen nicht genauso öde wie das Meer ohne Inseln?"

Man kann nicht immer glücklich sein, aber genauso kann man nicht immer unglücklich sein. Das war mir ein tröstlicher Gedanke, als ich die Eiseskälte spürte, die Rena im Winter ihrer Liebe erlebt. Vielleicht schafft sie es doch noch, ihre fatalistischen Gedanken zu überwinden und wieder Glück und Freude in ihrem Leben zu finden. Vielleicht als Oma ihres gerade zur Welt kommenden Enkelchens. Indem sie diesem neuen Menschlein die Liebe zurückgibt, die sie einst von ihrer Oma Anna erfahren hat, würde sich ihr Lebens- und Liebeskreis hoffnungsvoll schließen. Ich wünsche ihr jedenfalls die Kraft, ihren Kampf mit den bürokratischen Windmühlenflügeln der Friedhofsverwaltung siegreich zu beenden, sodass Haukes Wunschinschrift dereinst über ihrem gemeinsamen Grab von ihrer Liebe kündet:

WIE SCHÖN UND LIEBLICH DU BIST
DU LIEBE IN WOHLLÜSTEN