Rezension

Joyce Familiendynamik in der Künstlerszene des Paris der 20er

Die Tänzerin von Paris - Annabel Abbs

Die Tänzerin von Paris
von Annabel Abbs

Bewertet mit 3 Sternen

Lucia Joyce, Tochter von James Joyce, wuchs unter besonderen Umständen auf. Ihre prägenden Jahre der Jugend verbrachte sie im Paris der 20er Jahre, wo Kunst und Kultur Grenzen austesteten und das Leben frei und wild war. Und eigentlich war sie mit ihrem Vater in dieser Szene mittendrin. Eigentlich, denn in der Tat ließen Lucias Eltern ihre Tochter nicht weit von sich, sie musste früh zu Hause sein und hatte neben der Tanzausbildung, die sie wahrnahm, kaum Sozialkontakte. Tanzen war ihr Leben, ihr Leidenschaft. Sie nahm an Wettbewerben teil, erhielt Angebote und plante ein selbstbestimmtes Leben. Doch als Muse ihres Vaters muss sie bei ihm bleiben. Da taucht mit dem jungen Schriftsteller Samuel Beckett eine neue Möglichkeit für Lucia auf - würde ihr eine Heirat endlich die ersehnte Freiheit von ihrer Familie geben?

Der Leser erfährt Lucias Geschichte in Etappen. Sie schreibt sie für Dr. Jung, den Psychoanalytiker und 'Erben' Freuds auf, bei dem sie in Behandlung ist. Ihre Erzählungen wechseln sich ab mit Therapiegesprächen. Der Leser mit etwas Vorkenntnissen in diesem Bereich weiß also eigentlich ab der ersten Seite, worauf das Buch hinauslaufen muss und rätselt durchweg nur noch 'Wer?' und 'Wann?'. Ob das jetzt schade ist, weil ein Aspekt der Spannung wegfällt, oder interessant, weil es einen zur damaligen Zeit hochaktuellen Therapieansatz vermittelt, muss jeder Leser selbst entscheiden. Für mich war es amüsant, ich fühlte mich in meine Schulzeit zurückversetzt, als ich Freuds Psychoanalyse kennengelernt habe.

Was für mich den besonderen Reiz des Buches ausmacht, ist, dass es auf wahren Tatsachen beruht. Lucia Joyce war wirklich Tänzerin, trug wirklich das im Buch beschriebene Kostüm, der Wettbewerb verlief wirklich wie im Roman dargestellt. Sie hatte wirklich 'was' mit Samuel Beckett und war später wirklich in Behandlung bei Dr. Jung. Selten habe ich bei einem Buch so viel nebenher recherchiert um zu erfahren, was wirklich von Lucias Erlebnissen verbürgt ist.
Den Aufbau der Erzählung finde ich ebenfalls sehr gelungen, weil man als Leser quasi auch die Rolle des Therapeuten einnimmt und versucht, Lucias Gefühle zu ergründen und ihre Erinnerungen freizulegen. Leider ist das Buch trotzdem nur eine Momentaufnahme und so ganz nachvollziehbar wird die Handlung nicht. Vieles bleibt nur angedeutet oder der Phantasie des Lesers überlassen. Das liegt vielleicht daran, dass die Autorin nicht mehr als für ihre Geschichte notwendig 'erfinden' wollte und erklärt zwar das Trauma der Frau, liefert aber keine eindeutigen Gründe für das Verhalten der restlichen Familie.

Schließlich muss ich leider auch das Cover kritisieren, das bis auf den Eiffelturm (als Wahrzeichen von Paris) keinerlei Bezug zum Inhalt hat. Die abgebildetet Person hat leider gar nichts mit Lucia gemein. Schade.