Rezension

Informativ, doch mit Tendenz zur Schnulze

Die Tänzerin von Paris - Annabel Abbs

Die Tänzerin von Paris
von Annabel Abbs

Bewertet mit 3 Sternen

Die Sicht der Autorin auf die Familie Joyce und insbesondere auf deren Tochter, das Tanztalent Lucia, mag einseitig sein, diese Sicht muss man als rein subjektive der künstlerischen Freiheit der Autorin zugestehen - auch wenn ich bezweifle, dass sie historisch die richtige ist. Was sonst noch zu sagen ist, folgt:

Der englische Titel „The Joyce Girl“ verdeutlicht gleich, um was es geht: um die Famile von James Joyce und insbesondere seiner tanzbegabten Tochter Lucia, von der ich Banause noch nie etwas gehört habe. Insoweit war der Roman für mich lesenswert und sehr informativ.

Dass James Joyce „Ulysses“ geschrieben hat, weiß man natürlich. Wenn auch die wenigsten Leute, die ich kenne, diesen Roman gelesen haben, einschließlich meiner Wenigkeit und nach der Lektüre von „The Joyce Girl“ werde ich dieses Versäumnis sicherlich nicht nachholen! Ein Graus. Joyce schreibt sehr frei und skandalös, obszön. Ich bin auch kein Fan von Henry Miller!

Paris war skandalös und huldigte Joyce, während Irland ihn ins Gefängnis gesteckt hätte, hätten sie ihn bekommen. Die Künstlerszene an der Seine war überaus freizügig in den 20er Jahren, auch in den 30ern. Der Autorin ist es ziemlich gut gelungen, die Atmosphäre dieser Zeit einzufangen und den Widerspruch aufzuzeigen, in dem Lucia Joyce lebte und an dem sie schließlich zerbrach. Einerseits die künstlerischen Freiheiten um sie herum, an denen sie auch partizipierte, indem sie eine Tanzausbildung durchlaufen konnte, andererseits eingeschlossen im konservativen Gefüge einer irischen Familie, die besonders den Frauen keinen persönlichen Freiraum ließ.

Lucia lebte in Widersprüchen und war psychisch und pysisch entwurzelt. Jedesmal wenn sie das Gefühl hatte, bei Menschen oder an einem Ort angekommen zu sein, rissen die Eltern sie aus ihren Lebensumständen heraus, so dass sie nie richtig zur Ruhe kommen konnte. Als Schreibaby überforderte sie ihre Mutter, wurde emotional vernachlässigt und konnte das frühkindliche Defizit niemals ganz ausgleichen.

Die Charaktere darzustellen und die Strukur des Romans, beides ist der Autorin gelungen. Ganz geschickt und oft unauffällig treten auch die Celebrities auf, z.B. sagt James Joyce einmal aufgebracht, dass Picasso ihn nicht malen wolle. Insoweit ist der Autorin ein gutes Gespür für die Zeit, über die sie schreibt und auch umfassendes Wissen über ihre Protagonisten, zuzuschreiben. Auch die Informationsvermittlung ist abwechslungsreich. Sitzungen mit dem berühmten Psychoanalytiker C.G. Jung in der Schweiz lösen Lucias Erinnerungen aus und verhelfen der Autorin zu den Rückblenden nach Paris und London. Die Schlusskapitel sind zeitgerafft und die "Historischen Anmerkungen" der Autorin im Nachklang geben nocheinmal einen Informationsinput.

Zu bemängeln ist die Sprache. Warum nur verwendet die Autorin absurde Vergleiche und das Vokabular schlechter Schnulzen? ("ein wissendes Lächeln auf ihren modisch geschminkten Rosenknospenlippen" „und dessen Mund wie eine reife Pflaume war“), Damit wird das Buch trotz seines ansprechenden Sujets selber zur Schnulze.

Denn das Handwerkszeug eines Schriftstellers ist die Sprache. Literarische Wortverbrechen bedeuten, dass die literarische Qualität eines Romans sich in einen Sturzflug begibt und auf dem Boden zerschellt. Das ist sehr schade und wäre gar nicht nötig gewesen. Dass die Autorin es nämlich auch anders kann, sehr viel besser, beweisen andere Passagen, in denen sie den beginnenden Wahnsinn und das Innenleben Lucias oder aber auch deren Tanz beschreibt. Warum also hat sie sich für diesen Schwulst entschieden?

Das Sujet des Romans ist sehr anziehend. Die Strukur des Romans ist gelungen. Die Informationsvermittlung variiert, sie mag nicht die raffinierteste sein, ist aber ausreichend, um den Leser bei der Stange und Laune zu halten. Auch die Dialoge sind in Ordnung, zwar nicht überragend, aber qualitativ ausreichend. Doch die Verwendung von Groschenheftphrasen, Füllseln, absurden lächerlichen Vergleichen und Formulierungen, runieren das Ganze.

Fazit: Biographischer Roman über Lucia Joyce, informativ, sprachlich leider mit Tendenz zur Schnulze.

Kategorie: Biographischer Roman
Aufbauverlag, 2017

Kommentare

E-möbe kommentierte am 01. August 2017 um 23:41

Rosenknospenlippen und Pflaumenlippen. "Literarische Verbrechen" passt wie Faust auf dicke Lippe. ;)

Steve Kaminski kommentierte am 02. August 2017 um 09:06

"wie Faust auf dicke Lippe" ist gut!

Steve Kaminski kommentierte am 02. August 2017 um 09:05

"ein wissendes Lächeln auf ihren modisch geschminkten Rosenknospenlippen", ogottogottogott - Schmerz! - Aber Deine Rezi ist sehr lebendig geschrieben und macht Spaß. Auf die Lektüre des Buchs werde ich aber verzichten! (O.k., ich hatte es auch nicht vor - das macht es mir leichter!)

wandagreen kommentierte am 02. August 2017 um 09:18

Ich hab schon die allerschlimmsten "Verbrechen" rausgesucht ... gemein von mir ;-). Aber es steht da. Da müssen sich doch die Zehennägel der Übersetzerin kräuseln. Und welche Arbeit macht denn der englische Lektor? Sobald ich so was lesen würde, würde ich SCHREIEN! Rot anstreichen und um Überarbeitung bitten. Aber am Schlimmsten ist es, wenn die LeserInnen seufzen: "Der Stil gefällt mir so gut". Dann weiß ich, dass wir nicht mehr das Volk der Dichter und Denker sind.

Steve Kaminski kommentierte am 18. August 2017 um 08:46

Und wenn es die Übersetzerin war und gar nicht die Autorin? Es gibt erstaunliche Übersetzer!

wandagreen kommentierte am 18. August 2017 um 09:27

Nein, kann nicht sein, sie hat auch Oscar Wilde und Charles Dickens übersetzt. Ich halte es für ausgeschlossen.

Steve Kaminski kommentierte am 18. August 2017 um 10:18

Gut, dann war sie's nicht!