Rezension

Kein Wort zu niemandem.

Das Leben, das uns bleibt -

Das Leben, das uns bleibt
von Tanja Steinlechner

Eine sehr bewegende Familiengeschichte, die genauso hätte passieren können und passiert ist.

Wir befinden uns in Breslau im Jahr 1945. Die russische Armee steht vor den Toren der Stadt und die Einwohner Breslaus planen Hals über Kopf ihre Flucht um wenigstens ihr Leben zu retten, wenn sie auch sonst alles zurücklassen müssen. Auch die Familie der jungen Ruth muss fliehen, doch nicht alle können mit. Ruth ist eine junge Frau, den Kopf voller Pläne und das erste Mals verliebt in Ilan, einem jungen Juden, der sich verstecken muss. Ihr Bruder Jo ist im aufmüpfigen Jugendalter und ihre kleine Schwester Gili macht sich die Welt schön. Sie ist eine Frohnatur entgegen Ruth, die zum Grübeln neigt und sich mit Entscheidungen schwer tut. Der Vater hat für seine Familie falsche Pässe organisiert und die Geschwister erfahren nun auch den Grund, warum. Die Großmutter mütterlicherseits ist Jüdin und das darf auf gar keinen Fall ans Licht kommen und die Eltern schärfen ihren Kindern ein, kein Wort zu niemandem zu verlieren. Es würde für die Familie ein Todesurteil sein. Und so lassen die Geschwister mit ihrer Mutter schweren Herzens ihre Oma zurück in Breslau, die ihre Heimat nicht verlassen will. Der Vater will nachkommen. Für die Familie ist es ein unglaublicher Schmerz alles zurückzulassen und in eine ungewisse Zukunft zu flüchten und für Ruth ist es besonders schwer, denn sie muss auch ihre erste Liebe Ilan zurücklassen, völlig ungewiss ob er den Sturm auf Breslau überleben wird ebenso wie ihre Großmutter. Sie schenkt ihm ein goldenes Armband ihrer Mutter, für schönen Schmuck hat Ruth eine Schwäche, und die beiden geben sich das Versprechen, sich nach dem Krieg wieder zu finden.

In Freiburg hat die Familie einen Platz gefunden um zur Ruhe zu kommen, wenn auch weiter der Satz "Kein Wort zu niemandem" über der Familie schwebt und einen sehr großen Schatten wirft. Vier Jahre sind bereits vergangen und die Geschwister gehen ganz unterschiedlich, je nach Persönlichkeit mit ihrer zu verschweigenden Vergangenheit um.

Ruth weiß nicht ob sie Ilan jemals wiedersehen wird und gibt dem Werben eines Freiburger Juweliersohns nach. Ihre Mutter ermutigt sie sehr stark dazu, denn ihr ist Sicherheit das Allerwichtigste. Doch die Ehe wird nicht glücklich. Ruth leidet unter ihrem dominanten Schwiegervater und unter ihrem dem Vater unterwürfigen Ehemann. Sie wird schwanger und begegnet völlig unerwartet Ilan in Freiburg. Doch der Weg des gemeinsamen Glücks ist zu der damaligen Zeit versperrt. Der Leser begleitet Ruth in ihren inneren Kämpfen und Zweifeln und Hadern. Weiterhin fällt es Ruth schwer Entscheidungen zu treffen für sich und ihre Tochter. Sie lenkt sich ab mit der Goldschmiedekunst, die sie heimlich erlernt und in der sie Trost und Erfüllung findet und die ihr helfen könnte den Absprung aus ihrer lieblosen Ehe zu finden Doch ihr Mann und ihr Schwiegervater hegen andere Pläne. Ruth kommt in eine Situation, in der sie sich entscheiden muss.

Auch Jo und Gili versuchen auf ihre Weise, die Vergangenheit zu bewältigen. Gili will Schauspielerin werden und tanzen und spielen und sich nicht mehr erinnern. Sie lebt in wilder Ehe mit einem Journalisten zusammen, was damals ein Skandal war. Jo verbittert mehr und mehr dass in Deutschland keine wirkliche Aufarbeitung der Nazizeit in Gang kommt und engagiert sich in einer jüdischen Hilfsorganisation, lernt dort Ilan kennen und das hat bringt ein Familiengeheimnis ans Licht, das für alle ungeahnte Folgen hat....

Tanja Steinlechner hat mir ihrem sehr bewegenden Familienroman auch die Vergangenheit ihrer jüdischen Großmutter verarbeitet und das ist ihr großartig gelungen. Sie nimmt uns mit auf die inneren Reisen der Juden im Nachkriegsdeutschland, die von der Verfolgung traumatisiert alles weiter versuchen, ihre jüdische Vergangenheit zu verschweigen und das oft zu einem sehr hohen Preis wie wir am Ende des Romans lesen dürfen. Der Roman ist sehr gut recherchiert und von einer schönen Sprache, gerade die Passagen in der Ruth immer wieder zweifelt und hadert, finde ich sehr gut umgesetzt. In der Realität ging es vielen Juden ganz genauso, vielleicht bis heute, denn der Satz "Kein Wort zu niemandem", war bittere Realität. Wir dürfen mit Ruth zittern, hadern und uns auch mit ihr am Ende freuen.

Sehr lesenswert!