Rezension

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Kann ein und diesselbe Person Opfer und Täter sein?

Das Leben, das uns bleibt -

Das Leben, das uns bleibt
von Tanja Steinlechner

Bewertet mit 5 Sternen

Nach "Die Tänzerin vom Moulin Rouge" war ich sehr gespannt auf den neuen Roman der Autorin.

In "Das Leben, das uns bleibt" nimmt uns Tanja Steinlechner mit auf die Spuren einer Familiengeschichte, die im Januar 1945 in den Wirren des Krieges beginnt und bis in die frühen 50-er Nachkriegsjahre hineinreicht, wo der Schwerpunkt der Geschichte liegt. Es gibt drei sehr unterschiedliche Geschwisterstimmen aus deren Perspektiven erzählt wird. 

Achtung Spoiler:

Während die jüngste Schwester, den Krieg hinter sich lassen und endlich leben will, treibt den Bruder der Drang nach Gerechtigkeit um, insbesondere für die jüdische Bevölkerung. Er ist zunächst auch der Einzige, der über die eigenen jüdischen Wurzeln nicht schweigt und gegen das Vergessen anlebt. Sehr zum Ärger seiner Familie. Die Hauptfigur Ruth ist die Ausgleichende unter den Geschwistern; sie versucht Zwist zu schlichten und gibt daher dem Wunsch der Mutter nach, den falschen Mann zu heiraten, um nur ja die eigene Herkunft zu verschleiern und ein vermeintlich besseres Leben führen zu können. Bei allen sitzt auch nach dem Krieg das traumatische Erleben noch tief. Dass Ruth ausgerechnet in eine Familie einheiratet, deren Schmuckgeschäft von den Kriegsverbrechen profitiert hat und dessen jüdischer Vorbesitzer enteignet worden ist, ahnt sie zunächst nicht, derweil sie selbst ihr Talent fürs Schmuckentwickeln entdeckt und ihre große Liebe Ilan wieder auf den Plan tritt. Sie ist jedoch verheiratet und schwanger von einem anderen. Das Leben selbst zwingt sie nunmehr zu handeln, und darüber entwickelt sie sich.

Mehr will ich an dieser Stelle nicht über die Handlung verraten.

Ende Spoiler.

Aber soviel sei gesagt: Von Steinlechners Figuren darf man nicht erwarten, dass sie immer und stets richtig handeln. Sie sind dreidimensional gebaut und charakterlich ambivalent. Man mag das anfangs irritierend finden, aber mich hat es für sie eingenommen, weil ihr Tun eben dadurch glaubwürdig wird. Außerdem mag ich die dichte Atmosphäre des Buches und die Sprache, deren Bildreichtum und Rhythmus.

Das Thema, das hier verhandelt wird, ist aktueller denn je: Wie lebt man mit Kriegstraumata, wenn der Kriegszustand endet? Kann ein und diesselbe Person Opfer wie Täter sein? Und vor allem, wie kann man das Schweigen über das Unsagbare brechen? Der Autorin gelingt all dies mit ihrer Geschichte. Es hat mich sehr berührt, dass Ruth und ihre Geschwister wieder zueinander finden und aus der einstmaligen Entfernung Nähe entsteht. Meine absolute Lesempfehlung!