Rezension

Klasse Idee gespickt mit Charakteren, die alles andere als 08/15 sind

Numbers 01. Den Tod im Blick - Rachel Ward

Numbers 01. Den Tod im Blick
von Rachel Ward

Zitat:
„Du bist eine Zeugin, Jem. Du bezeugst die Tatsache, dass wir alle sterblich sind. Dass unsere Tage gezählt sind, dass uns zu wenig Zeit bleibt.“
„Aber das weiß doch sowieso jeder.“
„Wir wissen es, aber wir schieben es lieber beiseite – es ist so schwer, damit zurechtzukommen. […] Wir ziehen es vor, den Tod zu vergessen.“
(S. 321)

Inhalt:
Wenn Jem jemandem in die Augen sieht, sieht sie eine 8-stellige Zahl. Schon als sie klein war, hat sie diese Zahl gesehen. Aber erst am Todestag ihrer Mutter hat sie verstanden, was sie bedeutet. Die acht Ziffern zeigen das Todesdatum eines Menschen.
Dieser Fluch isoliert Jem, sie traut sich nicht, zu irgendjemandem eine Bindung aufzubauen, dessen Tod stets vor Augen, musste sie daher von Pflegefamilie zu Pflegefamilie wechseln.

Terry, genannt Spinne, ist der erste, der sich nicht von Jems abweisender Art abschrecken lässt. Er krallt sich so lange fest, bis sich Jem ihm verbunden fühlt. Nur gibt es bei ihm ein großes Problem. Seine Zahl. Bis zu dem Datum sind es nicht mehr viele Tage.
Die Ereignisse überschlagen sich, Jem ist gemeinsam mit Spinne auf der Flucht, das Todesdatum rückt immer näher.
Zum ersten Mal will Jem etwas dagegen unternehmen, um ihre erste Liebe zu retten.

Meinung:
Irgendwie weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Normalerweise mache ich mir während dem Lesen Notizen, fasse kurz zusammen, was mir aufgefallen ist, eine Art Zusammenfassung. Als ich „Numbers“ begonnen hatte, kam ich aber irgendwie nicht dazu.

Denn von der ersten Seite an übte Rachel Wards Debüt einen unglaublichen Sog auf mich aus. Obwohl ich von den Charakteren, allen voran der Protagonistin Jem, irritiert war, konnte ich nicht von dem Buch lassen. Ich war fasziniert von Jems Authentizität, den klaren Aussagen. Sie erzählt in Ich-Perspektive in Gegenwartsform, ich wusste nie, was als nächstes kommt.
Jem treibt sich gerne irgendwo herum, wo sie alleine ist. Sie kann nicht stets die Zahlen der Menschen vor sich haben, den Tag ihres Todes. So bleibt sie lieber für sich und geht den anderen aus dem Weg. Nicht so Spinne, der ihr nicht von der Pelle zu rücken scheint und für Jem Tag für Tag etwas mehr wie ein Freund wird, obwohl Jem gerade zu ihm keinen Kontakt möchte, weil es bis zu seiner „Zahl“ nicht mehr lange hin ist. Aber das kann sie Spinne nicht sagen. Niemandem erzählt sie davon.

Ab dem ersten Kontakt mit Spinne und der Nennung seiner Zahl spekulierte ich über seinen Tod. Lag es lediglich an der gesellschaftlichen Unterschicht, der die Charaktere angehören? Eine Schicht, in der Banden, Drogen und Gewalt zur Tagesordnung gehören? Genau diese Besonderheit der Charaktere war anfänglich mein größtes Problem mit „Numbers“. Es brauchte ein paar Kapitel, bis ich mich mit der Art der Protagonistin, ihren negativen Zukunftsaussichten und auch ihrer sehr einfachen und Slang-mäßigen Ausdrucksweise klar kam. Handelt es sich doch hier um Personen, denen man auf der Straße nicht wirklich begegnen möchte, von denen man den Blick abwendet, wie Jem selbst so schön sagt.
Überwindet man diese Hürde jedoch, versucht, sich in die vorgegebenen gesellschaftlichen Strukturen einzufühlen, erlebt man Charaktere der besonderen Art, die eine große Bandbreite an Emotionen weitergeben und ihren eigenen Charme besitzen.

Der Schreibstil bzw. die Erzählsprache von Jem ist dem Bildungsniveau der Protagonistin angepasst und macht ihre Schilderung der Erlebnisse authentisch. Sie ist es nicht gewohnt, Gefühle zu haben oder auszudrücken, daher mag die Geschichte dem ein oder anderen kalt vorkommen. Wer aber zwischen den Zeilen liest, sich mit ganzem Herzen auf Jem einlässt, wird überrascht sein, wie viel Gefühl in ihr steckt.

Wie eingangs bereits erwähnt, übte der Plot, seine vielen Kapitel und die besondere Erzählweise einen Sog auf mich aus, dem ich mich nicht entziehen konnte. So störte es nicht, dass Rachel Ward die Spannung nur sehr langsam, aber kontinuierlich ansteigen und ihrem Höhepunkt entgegenstreben ließ. Seite für Seite fesselte sie mich mehr, ich fieberte „dem Datum“ entgegen, stets die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden würde.

Das Ende von „Numbers – Den Tod im Blick“ ist passend und emotionsgeladen und erklärt nun auch den Klappentext der Fortsetzung, die ich zum Glück bereits hier habe.

Urteil:
Rachel Wards Debütroman „Numbers“ liegt eine fantastische Idee zugrunde. Durch den Blick aus den Augen einer gesellschaftlich unteren sozialen Schicht erhält diese Facetten, die bei 08/15-Buch-Charakteren niemals in der Art aufgetreten wären. Abzug gibt es lediglich für die Eingewöhnungsphase in diese so untypische Welt und ihre Sprache. Daher sehr sehr gute 4 Bücher für „Den Tod im Blick“.

Wer sich nicht davor scheut, einer etwas anderen Protagonistin zu folgen, Teil ihres traurigen Lebens und ihrer miesen Zukunftsaussichten zu werden, sollte unbedingt zu „Numbers“ greifen. Die tolle und tiefgründige Idee der Autorin wird auch euch überzeugen!

Die Serie:
1. Numbers – Den Tod im Blick
2. Numbers – Den Tod vor Augen
3. Numbers – Den Tod im Griff

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