Rezension

Kritischer und doch wehmütiger Heimatroman

Das Kaff - Jan Böttcher

Das Kaff
von Jan Böttcher

Bewertet mit 4 Sternen

„Das Kaff“ ist ein humorvoller, zugleich bissiger, zweifellos mit autobiographischen Motiven durchsetzter Heimatroman, den Jan Böttcher (45) im März im Aufbau-Verlag veröffentlicht hat. Böttcher selbst wurde im niedersächsischen Städtchen Lüneburg geboren und zog zum Studium nach Berlin, wo er noch heute lebt. Jenes norddeutsche „Kaff“, in das der Erzähler, der aufstrebende Architekt Michael Schürtz aus Berlin, wegen eines Großauftrags nach 20-jähriger Abwesenheit zurückkehrt, ist viel kleiner als Lüneburg, eher ein großes Dorf mit ein paar Läden, mit Kneipen und Imbissbuden und sogar noch einem Kino, doch dürften Beobachtungen und Erfahrungen seines Protagonisten denen des Autors ähneln.

Als Heranwachsender hatte Schürtz sein kleinbürgerliches Elternhaus nach einem Streit mit den Eltern verlassen und war nach Berlin gezogen. Wie wohl jeden Jüngling hatte ihn die große Welt gelockt, das Unbekannte, das Abenteuer, die ungeahnten Möglichkeiten der Metropole. Nach dem Besuch der Abendschule hatte er es zum Architekten geschafft. Doch seine Berliner Partner hatten ihn ausgetrickst, sein Vertrauen missbraucht, weshalb Schürtz plötzlich allein stand und um jeden Auftrag kämpfen musste. Die Reihenhaussiedlung in seinem Heimatort war die Rettung. Oder war die Heimat seine Rettung?

Von der Großstadt „verdorben“ mokiert sich Schürtz anfangs recht arrogant über die Kleinbürger, angefangen bei Bruder und Schwester, mit denen er sich schon in der Jugend nicht verstanden hatte. Doch mit jedem weiteren Tag im Kaff wird der Erzähler von längst verdrängten Jugenderinnerungen eingefangen. „An Erinnerungen hat mich immer genervt, dass man sie nicht beherrschen kann“, ärgert sich Schürtz. Tatsächlich spürt er in sich die Veränderung: Wollte er zunächst nur unerkannt sein Bauprojekt durchziehen, besucht er in einer plötzlichen Anwandlung seinen alten Verein, wo er einst ein guter Fußballer war.

Er nimmt alte Freundschaften wieder auf. Die inzwischen alt gewordenen Clubkameraden bitten ihn, die Jugendmannschaft zu trainieren. Zunächst zögernd, findet er zusehends Gefallen an seiner neuen Aufgabe: „Das war ein Bild, das ich vergessen hatte. Das Team, die Mannschaft. Teil eines Ganzen zu sein.“ Schürtz fühlt sich im Team der Kaff-Bewohner wieder aufgenommen. Diese Geborgenheit findet ihren Höhepunkt, als er sich in Clara verliebt, die den „Heimatlosen“ schließlich bei sich aufnimmt.

Böttchers Heimatroman ist nicht schnulzig, nicht romantisch verklärt: Es stimmt schon lange nicht mehr alles in Schürtz' Geburtsort. Der Erzähler urteilt kritisch über jene Mitbewohner, die wie sein eigener Bruder mehr zu sein vorgeben. Er erkennt aber auch Qualitäten der schlicht erscheinenden Menschen wie die der eigenen Schwester oder des alten Tischlers, der noch immer jedes Holzstück ohne Ausschuss fehlerfrei bearbeitet.

Böttchers lesenswerter Roman „erzählt mit viel Witz und leiser Wehmut von der Rückkehr ins Kaff als Rückkehr zum Ich“, wird Schriftsteller-Kollege Benedict Wells im Buchdeckel völlig zu Recht zitiert. Es stimmt wohl, dass man vieles als junger Mensch zuvor Bemängelte mit zeitlichem Abstand und erwachsen geworden oft in einem anderen Licht sieht. So verwundert es nicht mehr, wenn am Ende ausgerechnet Schürtz selbst ein verwahrlostes Waldgrundstück eigenhändig wieder in jenen Fußballplatz zurückverwandelt, auf dem er selbst einst gespielt hatte. Der „Flüchtling“ Schürtz ist wieder zuhause.