Rezension

Kurzer, aber eindrücklicher Roman

Glänzende Aussicht -

Glänzende Aussicht
von Fang Fang

Bewertet mit 4 Sternen

Bruder sieben ist der jüngste noch lebende Sohn einer armen Familie aus Wuhan. Der Vater führt ein gewalttätiges Regiment, die Mutter flirtet mit anderen Männern und schreitet nicht ein. Die Söhne entwickeln sich sehr unterschiedlich, doch es ist der Jüngste, der von allen immer wieder gequält wird, weil er zu weich ist und zu wenig aufbegehrt. Nur der sanfte Bruder Drei spendet ihm hin und wieder etwas Trost. Die beiden Töchter der Familie haben ihrerseits nur wieder die Aufgabe, selbst Söhne zu gebären und versuchen durch ihr kaltes Verhalten ihren Stand zu festigen

Fang Fangs neuster Roman „Glänzende Aussicht“ erschien in China bereits im Jahr 1987, die deutsche Übersetzung stammt von Michael Kahn-Ackermann. Man spürt deutlich, dass die Autorin es hier dabei belässt, das Schicksal einer armen Familie zu beschreiben, anstatt – wie in ihren späteren Werken – dies in eine Kritik des Systems einzubinden. Erzählt wird rückblickend aus der Gegenwart, wobei zwischen unterschiedlichen Zeiten gesprungen wird. Der Erzähler an sich ist dabei sehr besonders, wenn auch realistisch gesehen nicht ganz klar ist, woher er all diese Informationen eigentlich hat.

Nach und nach erfahren wir das Schicksal jedes einzelnen Familienmitglieds und werfen dabei einen Blick in das China der 60er bis 80er Jahre und damit auf die Nachwehen der Kulturrevolution. Zu Beginn hausen alle in einem einzigen Raum in den Henan-Baracken, am Ende ist dem Vater nur noch der vor der Hütte begrabene Sohn Nummer acht geblieben. Jedes Kind versucht auf ganz eigene Weise, dem Schicksal zu entkommen und etwas aus sich zu machen. Sie schlagen zurück, tun sich zu zweit zusammen, träumen von eigenen Familien, Geschäften und Reichtum. Nur Bruder sieben bleibt dabei, wie üblich, außen vor – doch alles ändert sich, als er die Familie endlich verlässt.

„Glänzende Aussicht“ ist ein schmaler Roman von gerade einmal 176 Seiten. Dahinter verbirgt sich jedoch ein starkes Familienporträt, in dessen Fokus ein Sohn steht, dem sein Leben lang mit Gewalt und Ablehnung begegnet wurde. Dennoch ist er, wie zum Trotz, am Ende der einzige, der es im Leben zu etwas gebracht hat.