Rezension

Lana Lux hat mich gefesselt

Geordnete Verhältnisse -

Geordnete Verhältnisse
von Lana Lux

Bewertet mit 4 Sternen

Philipp ist zehn als er die dritte Klasse wiederholt. Er ist ein Sonderling mit knatschroten Haaren und unzähligen Sommersprossen. Die “Mitgefangenen” seiner katholischen Grundschule nennen ihn Feuerwanze, Streichholz, Pumuckl und, was ihn wirklich demütigt Pipi Langstrumpf. Er ist meistens mies drauf, hat schon im Kindergarten nach den anderen gespuckt und getreten. Seine Mama holte ihn bei Tante Martha und Onkel Peter wieder ab, als er sechs war. Solange brauchte sie, um regelmäßig nüchtern zu sein.

Philipp schaut regelmäßig auf seine Uhr, damit er alle drei Stunden zur Toilette geht, sonst geht wieder was daneben. Frau Steinmeier stellt ihn deswegen vor seinen “Mitgefangenen” bloß, die lachen und er tut so, als wolle er sie nicht töten.

Und dann kommt der Morgen, an dem Frau Steinmeier ein Mädchen, mit schulterlangen, leuchtend roten Locken an der Hand hält. Sie heißt Faina, erfährt er und kommt aus Russland, denkt er. Obwohl seine Familie der Überzeugung ist, dass die Ausländer zu laut sind, nie den Müll trennen, nach Knoblauch stinken und nur auf Sozialleistungen aus sind, werden Philipp und Faina beste Freunde.

Philipp bringt Faina alles bei, Deutsch, gute Manieren und Rollschuhlaufen. Sie fahren zelten und haben Sex, aber das ist nichts für ihn. Körperkontakt mag er nicht und Intimität ekelt ihn. Faina hält ihn auch sonst für ziemlich speziell, weil er Tiere lieber mag als Menschen. Er vertraut niemandem, außer Faina, das macht sie stolz. Er ist brutal ehrlich und kann sich nicht in andere hineinversetzen. Seit er ihren alten Hund einschläfern ließ, weil er glaubte, es sei das beste für ihn, weiß sie, dass er übergriffig ist. Danach meidet sie ihn, will nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Doch fünfzehn Jahre danach ändert sie folgenschwer ihre Meinung.

Fazit: Lana Lux hat mich von der ersten Seite an gepackt und nicht mehr losgelassen. Die Wortwahl gefiel mir sehr, sie erzählt sehr detailliert und es ist, als stünde ich mittendrin, erlebte alles mit. Die Charaktere sind absolut überzeugend und nicht überzeichnet. Der Konflikt ist nachvollziehbar, weil klar wird, wie die beiden aufgewachsen sind. Zuerst dachte ich, Philipp sei autistisch, doch dann erkannte ich das, worauf die Autorin hinarbeitete und, dass es nur so enden konnte. Die Thematiken waren vielleicht etwas gewagt in ihrer Menge, Demütigungen durch Eltern und Mitschüler, Mobbing, Asexualität, Bisexualität, Alkoholmissbrauch, Narzissmus, Bipolarität, Religionszugehörigkeit, Antisemitismus, Rassismus, aber Lana Lux hat alles ineinanderfließen lassen ohne mich zu erschlagen. Dieses Buch hat mir größtes Vergnügen bereitet.

Ein wenig betrübt haben mich kleine Patzer, Philipp wurde anfangs am 3. März geboren und später beim Zahlenschloss das Geburtsdatum 13.3 angegeben. Der kleine Emryo, der als Junge zur Welt kommen und traditionell beschnitten werden sollte, war dann tatsächlich ein Mädchen, ohne Erklärung, was ein leichtes gewesen wäre, hätte das Lektorat aufmerksamer gearbeitet, das fand ich schlampig und unnötig.