Rezension

Leben unter rumänischer Diktatur.

Die Unschärfe der Welt - Iris Wolff

Die Unschärfe der Welt
von Iris Wolff

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kurzmeinung: Ein echtes Wohlfühlbuch. Und hier ham mr den Salat. Wohlfühlbuch und Diktatur - das geht nicht zusammen.

Iris Wolff datiert ihre Geschichte nicht, nur anhand von Eckdaten kann man sie zeitlich einordnen, die Beatles sind gerade modern. Wir sind also in den 1960igern und werden in eine Geschichte versetzt, die sich über Generationen hinweg bis in die Neuzeit, einige Zeit bis nach dem Berliner Mauerfall spannt. Zu Anfang sind wir in Rumänien und Rumänien ist noch eine Diktatur unter Ceauşescu.

Im Banat sind die Deutschstämmigen ansässig. Hannes ist dort evangelischer Pfarrer, Hirte seiner Gemeinde, verheiratet mit der eigenwilligen Florentine und Vater eines nicht minder eigenwilligen Sohnes, bespitzelt vom Mann seiner Schwägerin und verhört von der Securitate, nicht zuletzt wegen des Westbesuchs, der sich im Pfarrhaus tummelt. Man hat wenige Freiheiten, aber dennoch lebt man in den Dörfern des Banates ein relativ gutes Leben. Man hält zusammen und man hat einen Garten!

 

 Iris Wolff erzählt ihre Geschichte virtuos. Sie beschenkt ihre Figuren mit liebenswürdigen Besonderheiten, so dass sie trotz der Kürze ihres literarischen Daseins einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Sie reißt jedoch oft etwas an, was sie dann nicht ausführt. Zum Beispiel wird von Florentine gesagt. „Es gelang ihr selten, was sie dachte und was sie sagte, in jene Übereinstimmung zu bringen, die für andere so selbstverständlich war.“ Aber diese Eigenheiten bleiben im Raum stehen, die Autorin arbeitet nicht damit. Wie auch, sie ist damit beschäftigt, in den wenigen ihr zur Verfügung stehenden Seiten, das Leben in der Diktatur, eine Flucht, mancherlei menschliche Verwicklungen und Stories von vier Generationen unter einen Hut zu bringen.  

 

Die Sprache, die Iris Wolff führt, ist schön. Lyrisch, poetisch und nur selten ist ein Bild verfehlt. Ihre Figuren sind in aller Schlichtheit schöner und lebendiger als viele Protagonisten, die in dicken Wälzern hausen. Je ein besonderes Ereignis oder Lebenselement muss ihren Figuren ausreichen, um am Lid des Lesers kleben zu bleiben. Das schafft Iris Wolff, die sich als versierte Autorin erweist, spielend. 

Man kann verstehen, warum diese Autorin manchen Literaturpreis gewonnen hat. 

 DENNOCH: Wenn Iris Wolff einem ihrer Protagonisten die Worte in den Mund legt, „Erst das Ende offenbart, ob der Anfang gelungen ist“, dann ist das ein Eigentor, denn für meinen Geschmack zieht die Autorin ihre Story zu weit aus, bis in die vierte Generation hinein und das auf knapp mehr als 200 Seiten. Notgedrungen kommen dabei sowohl Figuren als auch Inhalt etwas zu kurz. Die Raffung ist meistens gut gelungen, doch die Hinzufügung der vierten Generation hat dem Buch den Hals gebrochen: was zu viel ist, ist zu viel. Viel lieber hätte man noch ein wenig mehr von den Figuren der vorigen Generationen erfahren. 

 

 DIE KRITIK: Der Roman „Die Unschärfe der Welt“ ist eine sehr schön geschriebene Familiengeschichte vom Leben unter rumänischer Diktatur. Doch ist sie atmosphärisch viel zu schön, um dem Schrecken dieser Diktatur auch nur annähernd gerecht zu werden, obwohl auch unschöne Ereignisse berichtet werden. Allerdings sind diese melancholisch verklärt. Ich war traurig, aber nie entsetzt.  Durch die die zeitliche Raffung kommen die Figuren zu kurz. 

Was mir in „Bagage“ von Monika Helfer gut gefallen hat, kann ich bei „Die Unschärfe der Welt“ nicht in derselben Weise honorieren. Mir fehlt die Vertiefung der Figuren. Was nicht heißt, dass die Figuren oberflächlich wären, gar nicht, aber man gewinnt Interesse für sie und dieses Interesse bleibt literarisch liegen. 

 

 Fazit: Trotz einiger Einwände meinerseits ist „Die Unschärfe der Welt“ ein schönes Buch, direkt ein Wohlfühlbuch. Doch gerade dieses Plus ist auch das Minus des Romans. Denn ein Wohlfühlbuch, wenn auch ein melancholisches Wohlfühlbuch, passt meiner Meinung nach überhaupt nicht zum Thema des Buchs.  

Kategorie: Belletristik: 3 Punkte
Gute Unterhaltung. 5 Punkte
Verlag: Klett-Cotta, 2020

Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, 2020