Rezension

Lesenswerte Kindheitserinnerungen aus der deutschen Nachkriegszeit

Herzanzünder - Ali Mitgutsch

Herzanzünder
von Ali Mitgutsch

Bewertet mit 4 Sternen

Vor der Lektüre der Autobiografie "Herzanzünder" kannte ich Ali Mitgutsch, den Künstler und Erfinder der Wimmelbilder, nicht. Deshalb bin ich ziemlich neugierig auf die Kindheitserinnerungen des Künstlers gewesen, die Mitgutschs Freund und Berater Ingmar Gregorzewki aufgezeichnet hat.

Alfons Mitgutsch, genannt Ali, wurde 1935 in München geboren. Er erlebte die Schrecken des 2. Weltkriegs und die entbehrungsreiche Nachkriegszeit hautnah mit. Er war der Nachzügler der gutbürgerlichen Familie und schlief wegen Platzmangels mit im Elternschlafzimmer. Der Vater war Bahnbeamter und leidenschaftlicher Fan der Wagner-Opern. Alis Mutter kümmerte sich um die vier Kinder und war eine fantasievolle Geschichtenerzählerin. Schön, dass der Leser in diesem Zusammenhang in der Buchmitte einige Familienfotos und Kinderfotos von Ali zu sehen bekommt.

Auf den insgesamt 191 Seiten versucht er mithilfe kleinerer Episoden bzw. prägender Momente seine Kindheit nachzuzeichnen. Dies gelingt ihm auf eindrückliche Weise, da er seine Erlebnisse ehrlich und wohl durchdacht wiedergibt. Sein Kindheitsporträt ist wie seine Kunst reich an Bildern, so vergleicht er z.B. die elterliche Wohnung mit einer Festung. Seine lebhaften Schilderungen katapultieren den Leser u.a. mittenrein in Mitgutschs qualvolle Schulzeit voller Hänseleien, in die gefahrvolle Zeit der Luftangriffe und in die Zeit seiner abenteuerlichen Hamstertouren durch das zerstörte München. So gerät Mitgutschs Erzählband unweigerlich zu einem persönlichen Stück deutscher Zeitgeschichte. Klar positioniert er sich gegen das NS-Regime, verabscheut die HJ, das Denunziantentum der Zeit und den stumpfsinnigen Kadavergehorsam der Soldaten.

Doch Mitgutschs Erzählungen vermitteln nicht nur Geschichtswissen, sondern auch Sprachwissen. So habe ich z.B. zeittypische Wörter wie „Dunkelfeind“ oder „Brummkasten“ gelernt und zudem viel bayrische Mundart zu lesen bekommen.

Freude und Leid markieren seine Kindheit gleichermaßen. Vom Standpunkt des schulischen Außenseiters beobachtet er seine Umwelt sehr genau. Er ist klein, schmächtig und dazu noch Legastheniker, doch er gibt nicht auf, allein schon weil die Familie nach dem Kriegsende größere Probleme zu bewältigen hat. Diese Haltung nötigt Respekt ab. Denn mehr als einmal musste er mit seiner Familie den Wohnort wechseln und litt Hunger. Bemerkenswert ist sein bereits als Kind ausgeprägtes Gespür für Kunst, Metalle und deren Wert. Letzteres half ihm beim Verkauf von den auf Münchens Straßen gefundenen Preziosen nach 1945.

Obschon mir die im Plauderton gehaltenen Kindheitserinnerungen sehr gefallen haben und ich mich durch diese gut unterhalten fühlte, habe ich Ausführungen zu seinem künstlerischen Ambitionen bzw. Erweckungsmoment vermisst. Ich hätte mir gewünscht, dass gerade dieses Kapitel angeschnitten worden wäre.

Fazit
Lesenswerte Kindheitserinnerungen aus der deutschen Nachkriegszeit.