Rezension

Mädelsabend ohne Sekt

Mädelsabend - Anne Gesthuysen

Mädelsabend
von Anne Gesthuysen

Bewertet mit 2.5 Sternen

Während des Studiums gab es praktisch jeden Abend einen Mädelsabend. Wir haben zusammen gesessen, geklönt, getrunken, gequatscht, getanzt und uns über Gott und die Männer ausgetauscht. Jetzt mit Job, Familie und Verpflichtungen sind die Mädelsrunden seltener geworden, aber fast noch wichtiger als früher. Mal raus kommen aus dem stressigen Alltag mit seinen vielen zermürbenden Kleinigkeiten, andere Gedanken und Themen wälzen. Und auch innerhalb der Familie ist mein Ohr plötzlich aufmerksamer, wie haben meine Mutter und meine Großmutter früher alles unter einen Hut gebracht? Mit welchen Schwierigkeiten, in welchen Umständen sind sie aufgewachsen? Anne Gesthuysen setzt sich in ihrem Roman „Mädelsabend“ ebenfalls mit den verschiedenen Generationen auseinander. Ihr Blickwinkel richtet sich vor allem auf zwei Frauenfiguren, Ruth und ihre Enkelin Sara. Ruth ist über achtzig Jahre alt und blüht auf, nachdem sie zusammen mit ihrem Mann Walter in eine Seniorenresidenz gezogen ist. Sie ist gern unter anderen Menschen und genießt die Gesellschaft der anderen Damen sehr. Zum Leidwesen von Walter, der gewohnt ist, dass sich seine Frau ihm unterordnet und ihr gemeinsames Leben organisiert. Sara ist vor einigen Monaten Mutter geworden und will gleichzeitig ihre Karriere als Ärztin nicht aufgeben. Ein zweijähriges Forschungsprojekt in England lockt und stellt die junge Familie vor eine schwierige Entscheidung.

Anne Gesthuysen erzählt exemplarisch mit Hilfe von zeitlichen Rückblenden am Beispiel von Ruth, welche Autorität der Ehemann in den 50er Jahren innehatte. Ohne die Erlaubnis des Mannes durfte die Ehefrau weder arbeiten, noch Auto fahren, noch außer Haus gehen. Entscheidungen über Geld und Anschaffungen traf allein der Mann und das mit dem Recht in seinem Rücken. Walter stand dazu ganz unter der strengen Fuchtel seines eigenen Vaters, dem er nichts entgegenzusetzen hatte und der als Familienoberhaupt auch über die Schwiegertochter bestimmte. Die Stimmung im Elternhaus wirkte sich nachhaltig auf Ruths Sohn aus, der seinem Vater Walter die Kaltherzigkeit gegen die Mutter nie verziehen hatte. Sara hingegen erlebte ihre Großeltern aus einer anderen Perspektive, sie hat ein inniges Verhältnis zu beiden und findet in den Großeltern Ansprechpartner, die sie über den Verlust der Mutter als Jugendliche etwas hinwegtrösten konnten. Zugegeben, über die Beziehung der Großeltern hatte sie sich bisher eigentlich auch nie Gedanken gemacht, erst jetzt mit der veränderten Lebenssituation in der Residenz gerät Sara über die ein oder andere Verhaltensweise bei beiden ins Grübeln. Doch wie schon als junges Mädchen hat sie vor allem mit sich selbst zu tun und muss um ihre eigene Beziehung bangen. Denn Lars, der Vater ihres Sohnes, ist alles andere als erfreut, dass Sara die eigene Karriere vor die Familie stellt.

Gesthuysens Ansinnen versteh ich wohl. Sie zeigt uns die Rolle der Frau in verschiedenen Zeiten auf, von der Unterdrückung in den 50er Jahren, dem Kampf für eigene Rechte in den 70ern und der vermeintlichen vollen Freiheit in heutiger Zeit, in der einer Frau theoretisch alle Türen offenstehen und es nur an ihr liegt alle Möglichkeiten geschickt auszuschöpfen. Da steht viel Wahres und Kluges in ihrem Roman, besonders im Reflektieren Ruths über sich und ihre Ehe am Lebensende, doch konnte mich die Geschichte nicht im Herzen erreichen. Ich sah vor meinem inneren Auge immer den erhobenen Zeigefinger der Autorin, die mir auf den knapp 400 Seiten unbedingt ihre Sicht der Dinge über uns Frauen darlegen wollte und dabei unweigerlich ins Verallgemeinern kam. Besonders der Geschichte um Sara herum fehlte die nötige Tiefe, Handlung und damit die Glaubwürdigkeit. Insgesamt konnte ich mich wohl einfach nicht mit dem Erzählstil der Autorin anfreunden. Das Erzählen aus mehreren Perspektiven hat seine Vor- und Nachteile, beim „Mädelsabend“ führte die Multiperspektivität bei mir leider zu ganz viel Distanz zu den Figuren. Und nichts ist tödlicher für einen Mädelsabend, wenn einem die anderen Mädels in der Runde egal sind.