Rezension

Mikroskopischer Blick auf dörfische Strukturen

Unterleuten - Juli Zeh

Unterleuten
von Juli Zeh

Bewertet mit 4 Sternen

Die Geschichte folgt einem genialem Plan, der nichts dem Zufall überlässt, aber auch leider kaum Platz für emotionale Beteiligung lässt. Jeder Gedanke wird mir abgenommen, weil die Autorin bereits festgelegt hat, was ich zu denken habe.

Nach außen scheint das Dorf ruhig und beschaulich, doch die Dorfgemeinschaft wurde durch ihre Geschichte und Politik bereits vor langer Zeit in Bewegung gesetzt, zieht Strippen, streitet offen und hinter verschlossenen Türen, besinnt sich auf alte Banden, knüpft neue Kontakte, manipuliert, sabotiert und prügelt wüst aufeinander ein – alles unter dem Deckmäntelchen, das Beste für das Dorf erreichen zu wollen. Mitten drin ein paar Zugezogenen mit ihren ganz eigenen Problemen und Zielen und dem Gefühl, den Punkt erreicht zu haben, an dem man im Dorf endlich mitmischen kann.

Nach gut 150 Seiten zündet die Autorin eine Lunte, die ganz nach ihrem Plan abbrennt. Die Planung der Landesregierung, eine Windkraftanlage in Unterleuten zu platzieren. teilt das Dorf in Gegner und Befürworter. Die teils jahrzehntelangen schwelenden Konflikte beginnen wieder aufzulodern und steigern sich zu einem martialischem Flächenbrand.

Das Buch lebt von dem Blick hinter die Kulissen, es seziert die Beziehungen bis tief in die Vergangenheit und räumt jedem Protagonisten viel Raum und Zeit zum Denken und Fühlen vor dem eigentlichen Handeln ein. Ein Buch, das mich auf der einen Seite fasziniert, auf der anderen unbeteiligt lässt.

Seite um Seite werden die Dorfbewohner entblättert und ihr Inneres vor dem Leser ausgebreitet. Dies entbehrt nicht einer gewissen Spannung, gleichzeitig benötigt man auch Geduld und Konzentration. Es zieht sich, bis ich die Vielzahl der Protagonisten erst einmal kennengelernt, ihren Tag- und Nachtträumen beigewohnt habe und den sich im Alltag spiegelnden Abgründe gewahr geworden bin.

Leider gelingt es der Autorin nicht, mich emotional zu beteiligen. Mir fehlen Identifikationsfiguren, es scheint nur Macher oder Opfer zu geben und jede Entwicklung in diesem Spektrum wandelt sich zu einem Extrem. Weder Dörfler noch Zugezogenen bieten mir einen Platz an, an dem ich mich einrichten möchte.

Ich fühle mich wie ein unbeteiligter Zaungast bei einem Faustkampf, dessen Choreographie einem Plan folgt. Die Anfeuerungsrufen und wüsten Beschimpfungen der Umstehenden gellen in meinen Ohren, aber der Ausgang bleibt mir völlig egal.

Die Technik der Autorin, jede Szene unter einem Vergrößerungsglas zu betrachten, ist auf der einen Seite interessant und ungewöhnlich - auf Dauer aber auch anstrengend und langatmig. Ich fühle mich durch die detaillierte und Zeit verzögerten Beobachtungen gezwungen, die Bahn jedes einzelnen Schweißtropfens oder Speichelfadens dieses Kampfes zu verfolgen. Manches Mal hätte ich mir weniger Details, weniger Verknüpfungen und weniger innere Landkarten gewünscht und dafür mehr Handlung und mehr Freiraum eigene Gedanken spinnen zu dürfen.