Rezension

Mord auf Rügen

Möwenfraß - Klara Holm

Möwenfraß
von Klara Holm

Bewertet mit 4 Sternen

„Maik lag auf dem Bett im hinteren Raum des Caravans und hatte Angst. Seine Mutter, die er seit neuestem Mum nennen musste, weil ein Kind bei Frauentausch das immer sagte, stöhnte. Aber das war nicht der Grund für seine Angst. Mama stöhnte ja immer, wenn sie es mit Winni machte. Als er einmal nachgefragt hatte, ob Winni ihr weh tat, hatte sie gekichert. Also ging das wohl irgendwie in Ordnung. Nein, er hatte Angst, weil… «Verdammt, Winni, du bringst mich um», drang Mums Flüstern in seine Gedanken. Sie und Winni lagen auf dem Doppelbett, das abends immer über dem Esstisch im vorderen Teil des Wohnwagens ausgeklappt wurde. Maik musste nur den Kopf drehen, um sie zu sehen, denn es war noch ganz früh am Abend und hell draußen, aber er traute sich nicht. Winni hätte es ganz sicher bemerkt und ihn ausgeschimpft. Und das mit dem Umbringen meinte Mama ja auch gar nicht so. Obwohl Maik ihrem Freund so einiges zutraute. Winni hatte Mama zu dem Urlaub auf Rügen überredet, obwohl Maik deswegen die Schule verpasste. Außerdem hatte er ihren Caravan auf dem verwilderten Grundstück abgestellt, was erboten war. Darum mussten sie immer aufpassen, dass niemand sie erwischte, wenn sie durch das Tor in der Mauer fuhren. Und dann hatte er auch noch was anderes getan… In diesem Augenblick schrie Mama auf. Maik hielt vor Schreck den Atem an. Winni tut ihr nicht weh, ist gut, ist alles gut … Mama hatte das doch selbst gesagt. Aber der anderen Frau, die geschrien hatte, hatte Winni doch weh getan. Ganz doll sogar. Die hatte überall geblutet…“

Der kleine Maik hat etwas Furchtbares gesehen. Und der Leser ahnt auch gleich, was das gewesen sein muss…

Rügen, im Mai 2013. In einem Haus in einer kleinen Ortschaft wird eine furchtbar zugerichtete Frauenleiche gefunden. Wie ein Wahnsinniger muss der Täter gewütet haben – Gesicht und Körper zeigen deutliche Spuren einer Axt. Luka Kroczek, gerade frisch von der Kripo Düsseldorf nach Rügen gewechselt, hat noch nicht einmal fertig ausgepackt, als er zum Tatort gerufen wird. Für den arroganten Staatsanwalt steht der Hauptverdächtige schnell fest:

«Herrgott! Ich glaube, ich sollte erst mal kurz eine Einführung fürs Inselkommissariat geben. Mir war entfallen, dass Sie hier über keinerlei Erfahrung verfügen. … Wir haben also eine Frau, die in dem unbewohnten Haus ihrer verstorbenen Eltern auf gewaltsame Art ums Leben gebracht wurde. Das ist vielleicht nicht gerade Routine, aber auch nichts Außergewöhnliches. Es kommen zwei Täter in Frage: jemand, der unberechtigterweise ins Haus eingedrungen ist und die Frau zufällig angetroffen und dann erschlagen hat. Das müssen Sie ausschließen. Ansonsten war es der Ehemann.»

Bei so viel Unterstützung von oben ist klar, dass es Luka bei seinen Ermittlungen nicht leicht haben wird ;-)

 

Dieser Inselkrimi hat mir richtig Spaß gemacht. Der Schreibstil war angenehm und flott zu lesen. Der Fall gestaltete sich spannend und wartete mit einigen Überraschungen und falschen Fährten auf.

 

Seinen besonderen Charme erhält das Buch durch seine diversen Randthemen. Da gibt es einen ständigen unterschwelligen Ost-West-Konflikt („Bei uns war nicht alles schlechter“), verschiedene familiäre Probleme der Hauptcharaktere und den kleinen Maik, den ich im Eingangszitat kurz vorstellte und der – unschwer zu erkennen – ziemliche Angst vor dem Freund seiner Mutter hat. Diese Themen ziehen sich durch den gesamten Text, sind aber so gestreut und gestaltet, dass sie an keiner Stelle die Spannung unterbrechen.

 

Die Charaktere sind interessant und vielschichtig. (Wie häufig erlebt man schon einen saxophonspielenden Kommissar?) Speziell den Ermittlern konnte ich mich recht nah fühlen. Zwar sind unsere Berufe absolut nicht vergleichbar, aber das Gefühl, ständig und zusätzlich zur Arbeit mit allen möglichen Widrigkeiten kämpfen zu müssen, kenne ich nur zu gut. Da war mir beispielsweise ein Kommissar, der sein Kleinkind mit zum Dienst nehmen musste, weil er keine Betreuungsmöglichkeit finden konnte, sehr sympathisch. Umso mehr, als dieser dann auch Fehler machte, sowohl bei seiner Arbeit, als auch bei der Betreuung der Kleinen. Speziell dieser Aspekt erscheint mir sehr realistisch und bekommt ein dickes Plus von mir.

 

Die Suche nach dem Täter führt Luka und sein Team bis zurück in die 80er Jahre. Auch hierbei ergeben sich sehr interessante Aspekte, die dafür sorgen, dass man an diesem laut Staatsanwalt "doch ganz simplen Fall" lange zu rätseln hat. Einen Punkt ziehe ich aber ab, weil für mich persönlich die Auflösung nicht „rund“ war. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass andere Leser das anders beurteilen.

 

Fazit: Ein spannender Krimi mit sympathischen und sehr menschlichen Charakteren. Sehr unterhaltsam.