Rezension

Nicht das Volk, sondern konkrete Menschen in den Mittelpunkt stellen – Menschen, die über gleiche Rechte verfügen, gleich aus welchem Land sie kommen

Volk, Volksgemeinschaft, AfD - Michael Wildt

Volk, Volksgemeinschaft, AfD
von Michael Wildt

Bewertet mit 5 Sternen

In einem Aufsatz, den ich für einen Sammelband schrieb, habe ich versucht, mit Carolin Emcke und dem jüdischen Philosophen Martin Buber herauszustellen, dass alle Menschen, die in diesem Land leben, gleichermaßen »menschliche Wesen mit einer besonderen Geschichte, besonderen Erfahrungen oder Eigenschaften«, »Teil eines universalen Wir« (Carolin Emcke) sind, gleichwertig und der gleichen Achtung wert – egal, ob sie deutsche Staatsbürger sind oder nicht, ob Christen oder Juden oder Muslims oder Buddhisten oder sich zu einer anderen Religion bekennen, ob Atheisten oder Agnostiker, egal, welche sexuelle Orientierung sie haben, welche soziale Stellung sie in der Gesellschaft einnehmen etc. Kurz: Das dialogische Prinzip Bubers wie das Denken Emckes richten sich gegen eine Ausgrenzung von Menschen, egal aus welchen Gründen.

Um dies darzustellen, ging ich von einem Blick auf die deutsche Gesellschaft mit rechtsradikalen Aufmärschen (Chemnitz 2018), der Ausgrenzung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und MigrantInnen u. a. durch die AfD aus. Nun ist es etwas anderes, Eindrücke aus dem, was man in den Medien mitbekommt, zu haben und etwas in einem Aufsatz so niederzuschreiben, dass es faktisch gesichert ist. Folglich suchte ich nach einer fundierten Analyse der Politik und Haltung der AfD – und stieß auf das Buch »Volk, Volksgemeinschaft, AfD« von Michael Wildt.

Wildt beginnt, dem Titel seines Buchs entsprechend, mit einer Darstellung des Begriffs »Volk« (S. 15–59): Volk im alten Griechenland, im Sinne des auserwählten Volks Gottes, das Volk als Souverän, »Wir sind das Volk«, Volk und Recht. Nach diesem ersten Teil geht Teil II »Volksgemeinschaft« (S. 51–90) etwa auf Gesichtspunkte ein wie »Alle Gewalt geht vom Volke aus«, Inklusion (unterschiedliche Bedeutung von »Volksgemeinschaft« für verschiedene Gruppierungen und Parteien, etwa zur Zeit der Weimarer Republik) und Exklusion (etwa Exklusion der deutschen Juden aus der »Volksgemeinschaft« im Nationalsozialismus), Teilhabe, Krieg, Nachkrieg. Auf dem Hintergrund des historischen Überblicks erfolgt im dritten Teil »Das Volk der AfD« die Analyse der AfD.

Welche Bedeutung hat nun das »Volk« für die AfD?

Die AfD hat, so Wildt, den Begriff Volk von vorneherein in ihre Propaganda integriert; dabei sind mit diesem Begriff »nicht nur die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger der jeweiligen Nationalstaaten gemeint […], sondern [es wird] eine Grenze der Zugehörigkeit gezogen […], die sich auf Abstammung und Kultur gründet« (Wildt 2017, S. 97). Dabei schwingt bei der AfD-Parole »Wir sind das Volk« mit: »Wir – und nur wir – repräsentieren das Volk« (Müller, Was ist Populismus? Berlin: Suhrkamp 2016, S. 19; zit. n. Wildt, S. 104). Wie Wildt zeigt, »steht hinter der AfD-Definition des Volkes ein ethnisch wie kulturell homogenes Volk, das mit deutlichen Grenzen Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit bestimmt. Die Schreckensszenarien, die die AfD angesichts der Zuwanderung entwirft, zeichnen das Bild einer bedrohten Volksgemeinschaft.« (Wildt 2017, S. 105)

Mehr Sorge als einzelne Äußerungen von AfD-Politikern und -politikerinnen muss dann vielleicht die Tatsache machen, das im Deutschen Bundestag wieder ein völkische Partei vertreten ist, die ein vermeintlich in Abstammung und Kultur homogenes Volk zum Maßstab macht. »Aber die Homogenität des deutschen Volkes oder der deutschen Nation, der sich AfD oder PEGIDA verpflichtet fühlen, gibt es nicht. Sie lässt sich nur herstellen durch Ausgrenzung aller als vermeintlich ›un-deutsch‹ oder ›nicht-abendländisch‹ Deklarierten.« (Emcke, Gegen den Hass, Frankfurt a. M.: Fischer 2016, S. 129)

Gerade (30.11./1.12.2019) fand der Parteitag der AfD statt; der AfD-Vorsitzende Meuthen will seine Partei regierungsfähig machen; in Berichten über den Parteitag werden gemäßigte Kräfte und der »Flügel« von Höcke und anderen einander gegenübergestellt. Aber das Völkische ist kein spezielles Merkmal des »Flügels«, sondern prägt die gesamte AfD. Zum Beispiel verurteilte Uwe Junge, Landeschef der AfD Rheinland-Pfalz und einer der »Gemäßigten«, in der Sendung Hart aber fair vom 1.7.2019 den Mord an dem Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke und Hetze gegen diesen, kommentierte aber Lübckes Aussage, wer die Werte der Verfassung ablehne, dem stehe es jederzeit frei, Deutschland zu verlassen: »Das eigene Volk aus dem Land gehen zu lassen, wenn man mit dieser Politik nicht einverstanden ist, war schon heftig.« (Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=DS__MIEjkIE&html5=1; Zugriff: 25.8.2019.) Hier ist sie wieder, die Gegenüberstellung von dem »eigenen Volk« und den anderen, die nicht dazugehören. Während Lübcke Verfassung und Menschlichkeit in den Vordergrund stellte, sieht Junge die Volkszugehörigkeit.

Der Begriff des Volkes aber, so Michael Wildt, ist »anachronistisch geworden« (S. 140), das Volk habe »sich überlebt« (S. 143). Er schlägt vor, stattdessen »den Blickwinkel [zu] ändern und statt auf politische Kollektive auf konkrete Menschen zu schauen« (S. 140) und mit Hannah Arendt »Menschen, die das Recht haben, Rechte zu haben, in den Mittelpunkt des politischen Denkens zu stellen« (S. 13). Es sei an der Zeit, »nicht mehr das Volk in den Mittelpunkt einer demokratischen Ordnung zu stellen, sondern konkrete Menschen, die über gleiche Rechte verfügen, die es zu schützen gilt, gleich aus welchem Land sie kommen, an welchem Ort sie wohnen.« Die »Freiheit und Gleichheit« solcher Menschen »könnten sich nur im Mit-Sein mit anderen Menschen entfalten« (S. 142).

Im Übrigen fordert Wildt (S. 142), in einer Migrationsgesellschaft wie der unseren auch für die Flüchtlinge Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen und »Legitimität für Entscheidungen bei denen zu gewinnen, die von diesen Entscheidungen betroffen sind, vor allem aber, den Betroffenen selbst eine Stimme in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um politisches Handeln zu geben. Es ist nicht einzusehen, warum in Deutschland […] über Flüchtlinge debattiert wird, ohne dass diese selbst zu Wort kommen. Eine Stimme haben, gehört zu werden, ist ohne Zweifel eine der wichtigsten Voraussetzungen der Demokratie.«

 

Michael Wildts Buch bietet eine fundierte Analyse der AfD (wobei ich mich hier nur auf einen kleinen Ausschnitt beziehe) auf historischem Hintergrund; die AfD verfolgt insgesamt einen völkischen Ansatz, nicht nur der »Flügel« – das scheint in den Äußerungen ihrer PolitikerInnen immer wieder durch, mögen sie Meuthen, Gauland, Höcke oder Junge heißen oder wie auch immer. Immer ist da der Primat des »Deutschen«, was immer das auch sein soll und wie auch immer sie ihre homogene Volksgemeinschaft aus der Vielfalt unserer Gesellschaft herausdestillieren wollen. Mit dieser Sicht ist die AfD schlicht gestrig. Geht man in der deutschen Geschichte zurück und sucht nach völkischem Denken, so stößt man bekanntlich auf die NSDAP. Diese Verbindungslinie sollten alle die bedenken, die meinen, aus irgendwelchen Gründen die AfD wählen zu sollen.

Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der zwischen bestimmten Menschen (seien sie MigrantInnen, Asylsuchende, Flüchtlinge oder wer auch immer) und dem »eigenen Volk« geschieden wird.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 02. Dezember 2019 um 08:47

Sehr schön, Stevie! Und sehr interessant!

Steve Kaminski kommentierte am 02. Dezember 2019 um 18:18

Danke, Bi!