Rezension

Nordisch kühl und sehr gelungen

Luzies Erbe - Helga Bürster

Luzies Erbe
von Helga Bürster

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kriegsromane gibt es wie Sand am Meer, doch Helga Bürsters Roman „Luzies Erbe“ sticht durch nordische Nüchternheit und den außergewöhnlichen Blickwinkel heraus.

„Der Krieg war ein schrecklicher Tölpel, er warf die Dinge um und stellte sie verkehrt herum wieder auf.“

Im Bremer Umland ist der Krieg eingezogen und niemanden lässt er unbeachtet. Auch die Magd Luzie hat zu kämpfen mit den Entwicklungen, aus dem elterlichen Nest zum Bauern getrieben, der Verlobte im Krieg verschollen und ein junger Mann auf dem Hof, der ihr einfach nicht aus dem Kopf geht. Doch ist dieser der polnische Zwangsarbeiter Jurek und jede Annährung verboten.
Jahrzehnte später stirbt Luzie und hinterlässt ihre zwei Töchter, ihre Enkelin und Urenkelin einen Koffer voller Rätsel der Vergangenheit, denn was mit ihr und Jurek geschehen ist unterlag dem Mazur’schen Schweigen und so beginnt eine Schnitzeljagd durch die Zeit.

Ein Roman geprägt von nordisch, kühler Nüchternheit, was durch die kurzen, präzisen Formulierungen schon ab der ersten Seite auffällt. Nichts wird beschönigt, nicht um den heißen Brei geredet. Und doch war gerade das anfänglich ein kleines Problem für mich, weil es eine Distanz geschaffen hat, die im Rückblick aber doch sehr gekonnt eingesetzt ist. Dazu zählte für mich auch, dass der Roman mit sehr vielen Menschen, verschiedenen Zeiten und Perspektiven begonnen hat, sodass es nur durch ungeteilte Aufmerksamkeit gelingt alle Zusammenhänge zu verstehen und jeden richtig einzuordnen. Dies wird jedoch selbst nach kleinen Startschwierigkeiten im Laufe des Romans immer leichter.

Die großen Pros des Buches sind für mich klar Setting und Figuren. Die nordisch-ländliche Atmosphäre wird stilvoll untermalt durch einige plattdeutsche Einwürfe und die gesamte Szenerie so wunderbar bildlich, dass man in Gedanken neben Luzie im Heu liegt und das Geschehen beobachtet. Die Charaktere sind so komplex und durch die Vergangenheit gezeichnet, dass alles ein großes Netz an Wirkungen mit sich zieht. So wird aus vielen kleinen Puzzleteilen nach und nach ein stimmiges Ganzes. Auch die Auswahl den Fokus auf die polnischen Zwangsarbeiter und die mittellose Magd zu legen ist sehr gelungen, abwechslungsreich und bringt Spannung in die Geschichte.

Insgesamt ein sehr gelungener Roman, der durch Bodenständigkeit, Realitätsbezug, sowie interessante Figuren und eine ganz besondere Sprache besticht.