Rezension

Odyssee eines Heimatlosen

Wie hoch die Wasser steigen
von Anja Kampmann

Bewertet mit 4 Sternen

Neben der Suche nach dem schnellen Geld muss es auch Fernweh und Abenteuerlust gewesen sein, die Waclaw einst auf die Arbeit auf Bohrinseln getrieben haben. Allerdings hat sich das Abenteuer auf Enge in einer Männergemeinschaft erwiesen, die sich nicht unbedingt viel zu sagen hat. Die Arbeit ist gefährlich, auch Waclaw hat seine Verletzungen davongetragen, innere und äußere. 

Über Langeweile, Einöde und Erschöpfung auf den Offshore-Plattformen wie auch in den anonymen Apartments zwischen Nordafrika und Texas hat ihm Matyas hinweggeholfen, sein bester Freund.

Doch Matyas ist verschwunden – ein Arbeitsunfall? Für Waclaw ist die Arbeit plötzlich unerträglich geworden. Dass die Suche nach Matyas so schnell aufgegeben wurde, dass niemand so wirklich am Schicksal des jungen Ungarn interessiert scheint, zermürbt ihn. Von einer Auszeit kehrt er einfach nicht zurück, die fristlose Kündigung erreicht ihn irgendwo zwischen Hafen und Flughafen und Waclaw lässt sich treiben.

Zunächst nach Ungarn, gewissermaßen ein symbolischer Abschied von dem Freund, gemeinsame Trauer mit dessen Schwester. Die Reise zu den Wurzeln des Freundes eröffnet Waclaw aber auch, wie wenig er Matyas eigentlich kannte. Was noch entging seiner Wahrnehmung? Waclaw zieht durch Europa, knüpft an an Orten, die mit seiner Biografie verbunden sind, aber letztlich ist es die Odyssee eines Heimatlosen und auch die Menschen, denen er begegnet, sind letztlich entwurzelt, isoliert, Halt suchend.

Poetisch ist die Sprache in Anja Kampmanns Prosa-Debüt „Wie hoch die Wasser steigen“ – und das ist kein Wunder. Bisher schrieb sie Lyrik. Poesie und offshore drilling – das ist nun allerdings ein Gegensatz, und nicht gerade in der Form eines sich ergänzenden  Ying und Yang. Sprachlich sind die Landschaftsbeschreibungen, das Dahintreiben Waclaws schön zu lesen. Mit der eher derben Männerwelt, in der er sich auf den Bohrinseln bewegte oder auch seiner Herkunft aus dem Ruhrpott hat  das  nichts zu tun, sondern führt da zu einem gewissen Verfremdungseffekt.

Vielleicht ist das ja beabsichtigt, der Bruch zwischen Poesie in der Beobachtung und der Sprach- und Perspektivlosigkeit des Protagonisten. Waclaw hat sich fortbewegt aus dem „Pott“, von seinem polnischen Vater, der sich im Bergbau eine Staublunge holte, fort von der Welt der Taubenzüchter und Kleingärtner. Doch die Malocherkultur auf der Bohrinsel war ähnlich, nur die Gefahren andere. 

Da schließt sich ein Kreis, als Waclaw die Taube eines einstigen Kumpels, der in der italienischen Heimat einen Neuanfang versucht, über die Alpen bringt, um sie aufsteigen lassen. Die Taube schafft vielleicht den Flug in den heimischen Schlag, doch für Waclaw, so ahnt man, gibt es nirgends mehr einen Ort, den er Heimat nennen könnte: Die vielen Wechsel und Veränderungen haben sein Leben buchstäblich verworfen.