Rezension

Roadtrip ohne Tiefgang

Umweg nach Hause - Jonathan Evison

Umweg nach Hause
von Jonathan Evison

Bewertet mit 3 Sternen

Ben Benjamin steht vor den Scherben seines Lebens: Er ist kurz davor, pleite zu gehen, als er den Job als Pfleger des jungen Trevors bekommt, der an unheilbarer Muskeldystrophie leidet. Vor zwei Jahren war Ben selbst noch glücklich, mit Frau und Kindern, bis ein unfassbarer Schicksalsschlag ihm alles nahm.
Trotz Trevors Zynismus kommt er gut mit dem Jungen klar und akzeptiert dessen Marotten. Als Nachricht kommt, dass Trevs Vater, der die Familie vor Jahren verließ, einen Unfall hatte, brechen Ben und Trev auf, um ihn in Salt Lake City zu besuchen. Doch auf dem Weg von Washington State bis dahin warten nicht nur die skurrilsten Sehenswürdigkeiten auf sie, sondern auch einige unerwartete Begegnungen.

Auf den ersten Blick klingt „Umweg nach Hause“ wie die männliche Version zu Jojo Moyes' „Ein ganzes halbes Jahr“ und gewisse Analogien sind festzustellen.

Im Vordergrund steht Ben, der aus der Ich-Perspektive berichtet. In kurzen Kapiteln erfährt man seine Erlebnisse auf zwei Zeitebenen. Einmal die aktuellen Ereignisse mit Trev, einmal die Ereignisse, die zum Schicksalsschlag führten. Wie dieser aussah, erfährt man erst nach und nach durch Andeutungen. Der Wechsel zwischen den Zeitebenen gelingt Jonathan Evison sehr gut, ich habe dies nie als Bruch erfahren. Durch die kurzen Kapitel und die Neugier, was passiert ist, kommt man sehr gut durch das Buch voran.

Der Schreibstil ist gefällig, vor allem das Kapitel der „Katastrophe“ hat mich sehr beeindruckt.

Neben einer einzigen überraschenden Wendung waren auch die skurrilen Sehenswürdigkeiten interessant.
 

Was aber hat dazu geführt, dass „Umweg nach Hause“ hinter meinen Erwartungen zurückblieb?

Der Roadtrip fängt erst zur Mitte des Buches an und hätte mit sehr viel mehr Potenzial ausgebaut werden können. Auch gestaltet sich die Reise mit einem Schwerbehinderten meiner Meinung nach viel zu einfach für Ben.

Außer Ben erfährt man nur sehr wenig über die anderen Charaktere. Auch hier hätte die Handlung ruhig noch etwas ausgebaut werden können. Manche Charaktere spielen am Anfang eine Rolle, werden nachher gar nicht mehr erwähnt. Das ist schade, sie bleiben Streiflichter am Rande.

Ben selbst ist mir charakterlich oft viel zu kindisch. Er ist einerseits sehr professionell im Umgang mit Ben, dann flüchtet er mehrmals auf absurde Weise vor dem Kurier mit den Scheidungspapieren, usw. , so dass ich ihn nicht ernst nehmen konnte und höchstens Mitleid für ihn empfand. Mit Ben wurde ich nicht warm, ebenso wenig mit den anderen Charakteren. Vor allem die Männer wirken extrem überzeichnet, z.B. der ewige Loser Bob (Trevs Vater).

Neben der kurzen Handlung kamen also noch enttäuschende Charaktere hinzu. Der Weg mag das Ziel sein, mir fehlte aber auf der aktuellen Zeitebene ein Spannungsbogen. Die Ereignisse plätschern nur so vor sich hin.

So reicht es für „Umweg nach Hause“ nur zu drei Sternen. Jonathan Evison hat einiges an Potenzial verschenkt. Mir scheint es, als wäre der Roman eher auf (amerikanische) Wenig-Leser zugeschnitten, die man mit langen Kapiteln und zu vielen Charakteren/Nebenhandlungen nicht enttäuschen möchte.