Rezension

Schuld, Reue und Vergebung

Schlaf der Vernunft - Tanja Kinkel

Schlaf der Vernunft
von Tanja Kinkel

Tanja Kinkel schreibt seit vielen Jahren Romane, die sich durch gründliche Recherchearbeit im Vorfeld auszeichnen. Ob das nun die Antike („Die Söhne der Wölfin“), das Zeitalter der Troubadoure („Die Löwin von Aquitanien“) oder England während der Herrschaft Elisabeth I. ist („Im Schatten der Königin“), es gelingt ihr immer, die jeweilige historische Epoche stimmig und unterhaltsam zu präsentieren.

In ihrem neuesten Werk „Schlaf der Vernunft“ geht sie nun nicht so weit in der Zeit zurück, wie wir es üblicherweise von ihr gewohnt sind, sondern widmet sich einer Periode der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte, die als der „Deutsche Herbst“ in die Geschichtsbücher eingeht. Ausgehend von der fiktiven Biografie der Martina Müller zeigt sie den Werdegang eines Mitglieds der RAF (Rote Armee Fraktion) auf, die Politisierung und Radikalisierung einer jungen Frau und deren Abtauchen in den terroristischen Untergrund, die Entwicklung einer Sympathisantin hin zur Mörderin. Aber sie beleuchtet auch das gesellschaftliche Umfeld, den Umgang der Medien, der Politik und Justiz mit den Terroristen.

Doch das besondere Augenmerk Kinkels gilt den Opfern, und zwar nicht nur denjenigen, die bei den Anschlägen der RAF ihr Leben lassen müssen, sondern auch denen aus dem familiären Umfeld, hier stellvertretend Angelika Limacher, die Tochter von Martina Müller, von der Mutter für das höhere politische Ziel im Stich gelassen. Seit deren Inhaftierung ist der Kontakt abgebrochen, aber die Behörden erwarten von ihr, dass sie nach Müllers Begnadigung und Haftentlassung die Resozialisierung der ehemaligen Terroristin begleitet und unterstützt.

Diese Mutter-Tochter-Geschichte ist das zentrale Element des Romans, der gekonnt mit zwei Zeitebenen arbeitet: Anfang der siebziger Jahre wird der Grundstein für all das gelegt, was Ende der neunziger Jahre nach der Zerschlagung der RAF über Angelika, die Tochter, hereinbricht. Es stellt sich hier nämlich nicht nur die Frage nach Schuld und Reue. Das wesentliche Element ist die Auseinandersetzung mit den Taten und der Frage, ob es den Opfern und den Hinterbliebenen möglich ist, nicht nur der Mutter sondern auch der Terroristin ihre Taten zu vergeben.