Rezension

Sehr interessant, "Neuland" für mich

Belfast Central - A. K. Amherst

Belfast Central
von A. K. Amherst

Bewertet mit 5 Sternen

Nordirland - bei mir bisher ein "weißer Fleck"

Ich muss zugeben: mein bisheriges Wissen über Nordirland könnte man gut und gern als „minimalistisch“ bezeichnen – Teil von Großbritannien, Hauptstadt Belfast, religiöse  Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten mit vielen Toten und Verletzten, IRA – jetzt etwas Entspannung im Konflikt – aber das war's schon...

A.K. Amherst hat jedoch in dem spannenden Roman (auf dem Cover steht Thriller) die fiktive Geschichte von Adam und Ryan in einen historischen Kontext gesetzt – und dies in einem Debütroman, der sehr authentisch „rüberkommt“! Der Schreibstil ist flüssig, die

 Länge der Kapitel gut gewählt und der Spannungsbogen wird bis zum Schluss fesselnd aufrechterhalten.

 Erzählt wird in zwei Handlungssträngen in den verschiedenen Zeitebenen: Adam lebt in den 30-er Jahren, Ryan 1993 in Belfast. Ryan arbeitet als Sanitäter und wird bei einem Anschlag auf den Hauptbahnhof von Belfast schwer verletzt, Hilfe erhält er in letzter Sekunde von einem älteren Mann, der aber eigentlich lieber anonym bleiben möchte (ich glaube, es kann verraten werden: es ist Adam). Adam ist Katholik, Ryan Protestant – ein ungeheures Konfliktpotential... Aber mehr sei hier nicht verraten...!

Anhand dieser Personen  (und ihren Familien und Freunden) zeichnet die Autorin ein Bild der Situation in Nordirland, die mich z.T. fassungslos gemacht hat: ich habe nicht gewusst, wie stark der Hass zwischen Katholiken und Protestanten war und ist (wahrscheinlich auch heute noch!),  1993 herrscht ein regelrechter „Krieg“ zwischen den Konfessionsgruppen, angeheizt von der IRA auf der einen (katholischen) Seite und der UDA auf der anderen (protestantischen) Seite. Ich dachte, die „rein“ protestantischen bzw. rein katholischen Wohnviertel wären Teil der Vergangenheit, aber nein... Noch 1993 konnte ein Protestant aus seiner Loge ausgeschlossen werden, wenn er die katholische Taufe seines Neffen besuchte...

Geschickt verwebt A.K. Amherst geschichtliche Fakten in die Handlung um Adam und Ryan, wir Leser befinden uns zeitweise mit den beiden auf den Straßen Belfasts. Zwischendurch blitzt aber bei aller Ernsthaftigkeit eine Prise Humor auf, z.B. als der 13-jährige Adam mit seinem Pfarrer feilscht, ob nicht 5 Vater-Unser (statt der vom Pfarrer festgelegten 10) zur Sündenvergebung reichen würden (S.78) oder aber als er – um mit einem protestantischen Mitschüler solidarisch zu sein – dem Religionslehrer einen Brief überreicht „Darin stand in Schreibschrift: Adam Delaney ist ab heute Protestant. Der König.“ (S. 83)

Dieses Buch zeigte mir eine Welt auf, die mir bisher ziemlich unbekannt war, ich musste mich mit neuen (anderen) Ideen, Lebenswelten und -entwürfen auseinandersetzen. Viele der Umstände und Verhältnisse sind mir nun deutlicher und verständlicher geworden, wobei mir dieser Identitäts- und Machtkampf immer noch sehr suspekt erscheint – genau wie auf S. 467 gefragt wird: „Rache? Was hat Rache uns je gebracht – außer Tote?“. Ich hoffe sehr, dass in Nordirland endlich ein stabiler Waffenstillstand einzieht, damit zumindest die nächste Generation friedlich miteinander aufwachsen kann!

 

Ein kleiner „Wermutstropfen“ hat dieses Buch, den ich nicht verschweigen möchte: am Schluss wurden für mich einige – kleinere - Fragen nicht zufriedenstellend geklärt, aber vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung?

Da aber dies wirklich die einzige Kritik ist und ich mich zum einen sehr gut unterhalten gefühlt habe und zum anderen „fast nebenbei“ in die Situation Nordirlands eingeführt wurde, kann ich mit guten Gewissen die volle Punktzahl vergeben und eine klare Leseempfehlung aussprechen!