Rezension

Sensibles Thema gut nähergebracht

Ehre - Elif Shafak

Ehre
von Elif Shafak

Bewertet mit 4.5 Sternen

Meinung: Voller Neugier habe ich dieses Buch in den Händen gehalten. Ich wusste nicht genau was mich erwartet, wie ich dieses Buch einordnen kann. Ist es eher ein Krimi oder eher ein Realitybuch? Nun ja, ich würde es eher als Realitybuch bezeichnen, da hier in keinster Weise ermittelt wird. Man bekommt die Geschichte aus mehreren Perspektiven erzählt. Mal ist es Pembe, mal eines ihrer drei Kinder oder ihre Schwester Jamila. Natürlich gab es noch andere Perspektiven, aber das waren so die bedeutungsvollsten. Ich muss gestehen, dass ich etwas Probleme mit dem Einstieg in das Buch hatte. Zu aller erst waren es die ganzen Namen, die mich verwirrt haben. Denn es sind wirklich ziemlich viele Namen. Dann gab es auch ein paar Zeitsprünge, die wahrscheinlich gar nicht so verwirrend waren, wie ich sie wargenommen habe. Aber das kombiniert mit den Namen hat mich mit vielen Fragezeichen im Kopf zurückgelassen? Wer sind Naze, Iskender oder Yunus? Was wohl vor allem zu meiner Verwirrung beigetragen hat, war das erste Kapitel. Dieses wird aus Esmas Sicht erzählt, trotzdem bleibt alles ziemlich verschlüsselt. Es spielt in der Gegenwart und fängt praktisch mit dem Ende des Buches an. Dann geht es im nächsten Buch mit einem Erzähler und der Großmutter von Esma, Naze, weiter. Diese hat gerade ihr zwei Zwillingstöchter Jamila und Pembe, Esmas Mutter, zur Welt gebracht. Versteht ihr was ich meine? Ich musste mir erst einmal klar werden, wer jetzt wo und wann ist. Nachdem ich das begriffen hatte, gab es eigentlich keine weiteren Probleme mit dem Buch. Die Charaktere waren gut, der Schreibstil hatte irgendwie etwas .... individuelles. Also, irgendwie hatte ich einfach das Gefühl, dieser Schreibstil wäre anders. Nicht so gut wie Maggie Stiefvaters, aber auf seine Art und Weise doch etwas Besonderes was sich abhebt. Die Geschichte hat sich, nach dem ersten Kapitel, eigentlich relativ chronologisch abgespielt. Mal gab es einen kleinen Zwischenstand, wie es denn in der Gegenwart aussieht. Dies kam vor allem in Form von Briefen vor, die eine ziemlich wichtige Person geschrieben hat. Man lernt über jedes Familienmitglied sehr viel und kann recht schnell nachvollziehen, warum sie so geworden sind und was sie für Erfahrungen gemacht haben. Allerdings hatte ich so mein Problem bei Pembe. Also, sie konnte ich nicht wirklich verstehen. Es gab in ihrem Leben wohl irgendeinen Punkt, den ich nicht mitbekommen habe, wo sie zu einem kleinen abergläubischen Angsthasen geworden ist. Das was für mich halt nicht nachvollziehbar, aber so konnte man die Zwillinge besser unterscheiden. Denn Jamila ist dann wieder das ganze Gegenteil ihrer Schwester gewesen, angstfrei und unabhängig. Wobei man leider relativ wenig von Jamila mitbekommt. Sie taucht nur am Rande auf, bekommt dann zwar ihre eigenen Kapitel, ist aber irgendwie nicht so wirklich bedeutsam, wenn es um das Geschehen geht. Denkt man zumindest. Sie schreibt mit ihrer Schwester Briefe, lebt aber ganz alleine in der Türkei in einer abgeschiedenen Hütte. Ich hätte mir viel mehr von ihr gewünscht, da sie wirklich sympathisch war. Ich bin ja eh ein Fan von selbstständigen Frauen. Die Geschichte ist wirklich spannend, die Atmosphäre passend. Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Gefühle ich beim Lesen empfunden habe. Beziehungsweise was für welche. Es ging von Mitleid und Wut über Glück bis hin zu Entsetzen. Dieses Buch hat mich wirklich emotional mitgenommen und berührt. Dadurch das man vorher erfährt, wieso die Charaktere so sind wie sie sind, kann man ihnen nicht einmal wirklich böse sein. So war es zumindest bei mir. Wobei vor allem das Ende mich noch einmal geschockt hat. Denn das war wirklich total unerwartet und nicht vorhersehbar. Ich meine klar, man wusste ungefähr was passiert, aber die einzelnen Details kannte man ja noch nicht. Das Buch hat mich gut unterhalten, auch wenn nicht immer die nötige Spannung vorhanden war, war es doch interessant genug, dass ich zum Weiterlesen motiviert wurde.

Charaktere:

Pembe: Eine junge Mutter von drei Kindern, die nicht wirklich gut Englisch spricht und sich auch sonst eher von der Umwelt isoliert. Ich muss gestehen, dass ich Pembe zwar mochte, aber ihr Verhalten nicht nachvollziehen konnte. Dazu muss wohl noch erwähnt werden, dass das Buch die meiste Zeit in den 60er bis 70er Jahren spielt. Vielleicht lag es auch eher daran, denn im Vergleich dazu, wie alt Pembe jetzt wäre, bin ich ja wirklich noch etwas jünger. Außerdem kann ich mich nicht in sie hineinversetzen, da ich ja keine Ahnung habe wie es in einem fremden Land ist ohne die Sprache richtig zu verstehen. Das waren für mich ein paar Probleme. Im Allgemeinen möchte ich keine Kultur beleidigen oder so. Aber wenn ich an ihrer Stelle wäre, als Deutsche, hätte ich anders gehandelt. Wie das als Türkin wäre kann ich nicht beurteilen. Allerdings schien mir Pembe wirklich etwas fixiert auf ihren erstgeborenen Iskender zu sein, was ihr auch vorgeworfen wurde. Ihre anderen beiden Kinder, Esma und Yunus, schien sie stattdessen nicht wirklich war zu nehmen. Ich kann mich gerade nicht wirklich an eine Situation erinnern, in der sie sich um die Beiden wie eine Mutter gekümmert hat. Trotzdem mochte ich Pembe ein kleines bisschen, obwohl ich sie oft nicht verstehen konnte.

Jamila: Eine starke und unabhängige Frau, die mir wirklich gut gefiel. Sie hat ihr Ding durchgezogen und das getan, was sie tun wollte. Und was die anderen darüber dachten, war ihr eigentlich ziemlich egal. Sowas mag ich und das ist mir auch sehr sympathisch. Ich bin halt einfach kein Fan von Leuten, die nichts alleine auf die Reihe bekommen. So war Jamila halt nicht. Sie hattte zwar keinen Mann oder Kinder, trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, das sie einsam wäre. Immerhin wurde sie immer gebraucht, denn sie war Hebamme. Eine immer freundliche, gute und hilfsbereite Hebamme. Leider hat man nur sehr wenig von ihr mitbekommen, trotzdem mochte ich sie von allen Charakteren am meisten, da sie einfach wirklich sympathisch war und ich sie von allen am meisten verstehen konnte.

Iskender: Ein junger Mann, der kein leichtes Leben hatte. Seine Eltern, Mama und Papa, haben ihn schon ziemlich heftig angelogen, wenn es zum Beispiel um die Beschneidung ging. Und dieses Situationen fand ich immer ziemlich ... erschreckend, frustrierend gerade zu. Weil, wem kannst du denn trauen, wenn deine eigenen Eltern dich anlügen. Der Junge hatte so viel Angst vor dieser Beschneidung, dass er weg gelaufen und auf einen Baum geklettert ist. Und als er da nicht wieder runterkam, hat seine Mama ihm versprochen, dass er nicht beschnitten wird. Na ja, wie die Wahrheit aussah könnt ihr euch bestimmt denken. Und das sind so Sachen, die finde ich einfach nicht gerecht. Nun gut, man muss die Religion etc. berücksichtigen, aber jemanden anzulügen ist eine Sache, die ich gar nicht ausstehen kann. Das geht bei mir gar nicht. Nach und nach hat sich Iskender irgendwie von seiner Familie isoliert, beziehungsweise sehr familär fand ich das sowieso nicht. Es gab ganz wenige Situationen, wo wirklich mehr als eine Person anscheinend zu Hause war und wenn, dann ist das meist nicht weiter aufgefallen. Für mich war da von Familienleben keine Spur. Ich will niemandem auf den Schlips treten, aber unter Berücksichtigung der Religion, konnte man sich fast denken, wie die ganze Sache ausgeht. Mir tat Iskender wirklich leid irgendwie. Natürlich ist das keine Rechtfertigung, aber dieses nicht vorhandene Familienleben gepaart mit den "Freunden", die ihm die falschen Werte einreden, das konnte einfach nicht gut ausgehen. Tut mir leid, aber das es so kommen musste, lag bestimmt nicht nur an Iskender.

Zitate:

Ich habe mir schon oft überlegt, wie es ist, wenn man eine Frau hat. Eine, die deine Schwächen und Misserfolge besser kennt als du selbst, alle deine toten Winkel, eine, die die Landkarte deiner Seele in ihre Hand gezeichnet hat und die dich trotzdem liebt.
Iskender

Hätte Allah den Wunsch gehabt, alle Menschen gleich zu machen, hätte Er es sicherlich getan.
Pembe

Wenn sie nicht Tag und Nacht davon geredet hätte, wäre mir Sex völlig schnuppe gewesen. Schließlich waren Schnecken Zwitter, jede hatte weibliche und männliche Fortpflanzungsorgane. Warum konnte es nicht auch bei den Menschen so sein? Wenn Gott uns nach dem Vorbild der Schnecke geschaffen hätte, gäbe es weniger Kummer und Leid auf der Welt.
Esma

Fazit:
Ein durchaus gutes Buch, welches mich doch sehr zum Nachdenken angeregt hat. Immerhin kann ich mich als Deutsche schlecht in eine Türkin hineinversetzen, vor allem wenn es um so ein Thema geht. Man muss viele Aspekte der Kultur berücksichtigen, bevor man sich eine Meinung bildet. Doch trotzdem finde ich, ist es eine wirklich gute Geschichte mit authentischen Charakteren und einem Hauptthema, welches hier sensibel auch Menschen anderer Kulturen näher gebracht wird. Durch die einzelnen Geschichten kann man nicht anders, als die Charaktere zu mögen und eventuell auch einfach nur Mitleid mit ihnen zu haben. Leider war mir für die volle Punktzahl zu wenig Spannung vorhanden, hätte es mich nicht wirklich interessiert, wäre ich nicht genug motiviert gewesen, die Seiten umzublättern.
Inoffiziell bekommt dieses Buch von mir 4,5/5 Schmetterlingen, da man bei Blogg dein Buch allerdings nur ganze Wertungen geben kann, bekommt es offiziell 4/5 Schmetterlingen.