Rezension

Ehre

Ehre - Elif Shafak

Ehre
von Elif Shafak

Bewertet mit 4.5 Sternen

~~Ehre ist in unserer Kultur ein Wort und ein Begriff, der seit längerer Zeit eher ein Nischendasein führt. Was soll das eigentlich sein, die Ehre? Deshalb fallen uns bei diesem Wort meist andere Kulturen ein, z.B. die türkische, in der das ganz anders ist. Zumindest in den traditionsverhafteten Familien, in denen, die jenseits des westlichen Einflusses, oft irgendwie in der Provinz leben. Dass Ehre aber auch ein Begriff ist, der sich in unsere Welt, in unseren Alltag einschleichen kann und wieder den längst vergessenen Stellenwert beansprucht, erfahren wir immer wieder schmerzlich, wenn ein Ehrenmord geschieht. Für die meisten von uns unbegreiflich, oft von den jungen, vermeintlich gut integrierten Männern, den Brüdern, Söhnen, Neffen oder Cousins verübt, erschüttert das unser Wertesystem. Wie kann so etwas geschehen. Einen Versuch, sich des Themas zu nähern, unternimmt Elif Shafak in ihrem neuen Roman. "Männer haben ihre Ehre, Frauen ihre Scham" sagt einmal eine der Protagonistinnen. Leider ist die Ehre der Männer allzu sehr an die Scham der ihnen (an)gehörenden Frauen geknüpft. Pembe und Jarmila sind Zwillingsschwestern, geboren als siebte bzw. achte Tochter irgendwo in einem Dorf an den Ufern des Euphrats. Die Mutter stirbt bei der Geburt der neunten Tochter, als beide noch Kinder sind. Der Vater lässt seine Mädchen zumindest die Schule besuchen, eher ungewöhnlich in diesem Umfeld. Beide hängen sehr aneinander, beide träumen aber auch von einem anderen Leben. Dieses scheint sich zu bieten, als ein junger Istanbuler ins Dorf kommt, Adem. Er verliebt sich in Jarmila, traut sich aber letztendlich nicht, sie zu heiraten, da nach einer früheren Entführung Gerüchte über ihre Unbeflecktheit kursieren. Zum Trost heiratet er Pembe, zieht mit ihr zunächst nach Istanbul und dann nach London. Ein großer Fehler, wie sich zeigen wird, denn die Ehe wird unglücklich, Adem entflieht ihr in die Spielsucht und die arme einer britischen Tänzerin, Pembe muss ihre drei Kinder mehr oder weniger alleine durchbringen. Als sie eine zarte Beziehung zu einem Mann knüpft, hat das dramatische Folgen.

Elif Shafak beleuchtet besonders, wie die Erziehung besonders der Jungen Einfluss auf ihren Weg nimmt, wie sie zerrieben werden zwischen Traditionen, die sie für die Familie wahren sollen und ihrem eigenen, oft schon westlichen Leben. Welche ungute Rolle dabei auch gerade die Frauen und besonders Mütter dabei spielen. Der Autorin gelingt es dabei eine durchweg hohe Spannung beizubehalten, obwohl der schicksalhafte Verlauf von Anfang an klar ist. Die verschachtelt dabei verschiedene Zeit- und Ortsebenen, macht dies aber für den Leser gut nachvollziehbar. Ihre Sprache ist reich, sinnlich und schön. Manchmal hätte sie für meinen Geschmack noch näher ran gehen können, den Finger noch tiefer in die Wunde legen können. Aber das Thema ist sehr komplex und Elif Shafak ist auch eine Autorin, die große Leserkreise ansprechen möchte. Sie widmet das Buch all jenen, die "hören und sehen". Sie gehört auch in der Türkei zu den wichtigsten Autoren. Es ist zu hoffen, dass sie mit diesem wichtigen Thema und diesem wunderbaren Buch möglichst viele erreicht.