Rezension

Soloauftritt für Harry

Amerikanisches Solo - Katja Eichinger

Amerikanisches Solo
von Katja Eichinger

„Amerikanisches Solo“ hält im Prinzip genau das, was der Name verspricht. Das Buch bietet seinem Protagonisten Harry Cubs eine Bühne für einen Soloauftritt. Für ihn und für seinen „american way of life“. Man sollte sich bei diesem Roman darauf einstellen, eine sehr fokussierte, sehr verzerrte Sichtweise auf die Handlung zu bekommen. Das Reflektieren bleibt Aufgabe des Lesers.

Harry Cubs ist Jazzmusiker, einer der größten seiner Zeit. Er hat sich alles selbst beigebracht, sich seinen Ruhm mühsam erarbeitet. Sein Talent und seine Bühnenpräsenz suchen seinesgleichen. Er hat einfach das gewisse Etwas, Harry ist ein ganz Großer. Doch Harry ist auch müde, schließlich ist er inzwischen 51 Jahre alt. Aber immer noch absolut in Form, keine Frage. Eine Pause muss es dennoch sein, eine kleine Tourneepause, in der der große Harry eigentlich gar nichts mit sich anzufangen weiß. So ganz ohne Publikum. Nun, dann muss sich Harry für diese Zeit eine andere Beschäftigung suchen. In seinem Haus in einer guten Wohngegend von L.A. warten ja zum Beispiel seine Schlangen auf ihn. Und auch neue Nachbarn! Ein in Harrys Augen alter Knacker (im Übrigen nur unwesentlich älter als Harry selbst) und seine wunderschöne, junge Ehefrau, die, das sieht man doch auf den ersten Blick, aus der bedrückenden Enge ihrer Ehe befreit werden muss! Harry der Erlöser eilt herbei und nimmt sich der armen Frau an. Die weiß jedoch von nichts, weder vom Unglück ihrer Ehe noch von der zweifelhaften Ehre, Harry zu begegnen. Und schon bald entspinnt sich ein Psychodrama, das gleichermaßen absurd wie erstaunlich ist.

„Amerikanisches Solo“ ist ein Roman, der eigentlich viel Potential hat. Die Autorin stellt die groteske Gedankenwelt des Protagonisten Harry in den Mittelpunkt und polarisiert dadurch enorm. Als Leser fühlte ich mich, als würde ich einen großen Crash in Zeitlupe betrachten können, den Crash des Harry Cubs. Ein narzisstischer Charakter, der fürchterlich unsympathisch ist. Das ist einerseits spannend beim Lesen, weil man dadurch eine enorme Reibungsfläche hat. Andererseits ist Harry aber derart präsent und dominant, dass es einen viel Geduld kostet, davon nicht genervt zu sein.

Zu Beginn des Buches gelingt es der Autorin noch sehr gut, eine starke Atmosphäre aufzubauen. Man hat dieses typische amerikanische Flair, die Hauptfigur fährt im Wagen durch das nächtliche L.A., Leuchtreklame, Diner, Palmen, alles da. Aber nach wenigen Seiten haben wohl alle verstanden, dass Harry eine lebende Jazzlegende ist, weltberühmt und sehr von sich überzeugt. Das wird unmissverständlich klar, dennoch wird das Buch nicht müde, es wieder und wieder zu betonen. Diese langatmigen, fast schon sentimentalen Eindrücke von der Hauptfigur ziehen sich für meinen Geschmack derart in die Länge, dass auch der raffinierte Wendepunkt rund 100 Seiten später dies nicht wieder aufwiegen kann. Natürlich soll dies alles die Figurenzeichnung von Harry Cubs unterstreichen, aber es war mir zu viel des Guten.

Fazit: „Amerikanisches Solo“ ist ein anspruchsvoller Roman, dem aber ein wenig Abwechslung in der Figurenkonstellation ganz gut getan hätte. Viel Platz für andere Charaktere ist nicht vorgesehen, dieses Buch ist Harrys „Amerikanisches Solo“. Für meinen Geschmack zu viel Harry, zu viel konstruierte Psyche. Die einigen wenigen Überraschungsmomenten kamen für mich viel zu spät und waren dann auch nicht nachhaltig genug, um mich fesseln zu können. Dennoch ein interessantes und lesenswertes Stück Literatur!

Bewertung: 3 Sterne

 

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