Rezension

Start in ein neues Leben

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe -

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
von Doris Knecht

Bewertet mit 4 Sternen

Im Mittelpunkt des neuen Romans von Doris Knecht steht eine namenslose Frau am Wendepunkt ihres Lebens. Nach dem Scheitern ihrer Ehe war sie neben ihrer Berufstätigkeit als Schriftstellerin und Journalistin viele Jahre lang alleinerziehende Mutter. Jetzt machen die Zwillinge Mila und Max ihren Schulabschluss und werden ausziehen und ihr eigenes Leben führen. Die Mutter kann sich die große Wohnung in ihrem Wiener Lieblingsviertel nicht mehr leisten und muss in eine preiswerte kleinere Wohnung ziehen. Das bedeutet, dass sie sich auch von einem großen Teil der Einrichtung und zahllosen Erinnerungsstücken aus den letzten zwanzig Jahren trennen muss. Sie beginnt aufzuräumen und die Dinge, die sie nicht mehr braucht oder für die kein Platz mehr ist, zu verschenken, zu verkaufen oder zu entsorgen. Im Zuge dieser Tätigkeit schweifen ihre Gedanken immer wieder in die Vergangenheit, in ihre unglückliche Kindheit als älteste von fünf Schwestern. In ihrer Familie hat sie sich nicht nur optisch immer als Außenseiterin gefühlt. Deshalb wollte sie als Jugendliche so bald wie möglich weit weg von der Enge des Elternhauses. Direkt nach dem Schulabschluss sorgte sie deshalb dafür, dass Hunderte von Kilometern zwischen ihrem Heimatdorf und ihrer neuen Bleibe in Wien lagen. Sie denkt an ihre Jugend, ihre zwei Abtreibungen und ihre Ehe. Immer wieder stellt sie fest, dass sie sich an die Vergangenheit anders erinnert als ihre Mutter und ihre Freundinnen. Außerdem hat sie vieles komplett vergessen. Eine vollständige Liste aller Dinge, die sie vergessen hat, kann es logischerweise nicht geben. Obwohl sie Veränderung immer gehasst hat, hat sie keine Angst vor der räumlichen Trennung von ihren Kindern. Sie glaubt nicht an den Schmerz, den ihr andere prophezeien, sondern sieht in dem bevorstehenden Neuanfang auch die Chance, endlich ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit zu führen. Sie selbst bestimmt, wie ihr künftiges Leben aussehen wird und wer sie selbst sein will.
Mir hat die ruhig erzählte Geschichte dieser Selbstfindung gefallen, obwohl ich mir stellenweise etwas mehr Handlung gewünscht hätte als die Wohnungssuche für sich selbst und die Kinder und die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, dem eigenen Ich. Dennoch ein durchaus empfehlenswerter Roman.