Rezension

Tauben im Gras heute noch relevant?

Tauben im Gras - Wolfgang Koeppen

Tauben im Gras
von Wolfgang Koeppen

Der Krieg ist vorbei und die Menschheit sollte erleichtert sein. Doch in seinem Roman „Tauben im Gras“ zeigt Wolfgang Koeppen die Realität: beispielhaft kreiert er Charaktere, die mit Krisen und Konflikten kämpfen und symbolisch für die gesamte angespannte Gesellschaft stehen.

Durch seinen wirren Schreibstil, die vielen Perspektivenwechsel und die Montagetechnik vermittelt Koeppen die Ängste und Orientierungslosigkeit dieser Zeit. Nun stellt sich die Frage, ob dieser Nachkriegsroman auch heute noch Bedeutung hat, denn die zeitliche Distanz erschwert die Identifikation mit den aufgezeigten Charakteren und der Gesellschaft. Wir leben nicht in unmittelbarer Kriegsgefahr, sorgen uns nicht um ein gespaltenes Deutschland und zerstörte Städte. Unsere Dämonen sind ganz andere als die von Philipp, der überfordert mit dem Umbruch konfus durch die Stadt irrt oder die von Washington, der von einem Leben ohne eine rassistische Verfolgung mit der Vehemenz dieser Zeit träumt. Jedoch kann man feststellen, dass die Krisen dieser Menschen in ihrer groben Thematik ansatzweise noch immer zu finden sind. Rassismus ist noch immer ein Problem und auch die Kommunikations- und Beziehungsprobleme zwischen Alexander und Messalina lassen sich auf die Gegenwart projizieren, aber nicht vollständig übertragen. Es wirkt, als wollte Koeppen, dass wir gewisse Parallelen erkennen, jedoch nicht ohne Abstand zu dieser Zeit und ihren Menschen zu waren. Wie sollen wir also getrennt durch Zeit und die vorsätzlich vom Autor geschaffene Distanz mitfühlen und aus den Taten der Charaktere lernen? Es wird keine Botschaft vermittelt, nichts, das einen das Leben und die Gesellschaft überdenken lässt. Wenn dieser Roman also keine Auswirkung mehr auf uns hat, ist er dann überhaupt noch relevant? Lohnt es sich, Schüler dieses Werk lesen zu lassen, wenn man weiß, er bietet nur eine dokumentarische Darstellung ohne jeden Appell, ohne jede Lehre, die zum Nachdenken anregt?

Meiner Meinung nach ist dies genau falsch. Um klar zu machen, wie die Menschen gefühlt haben, was sie bewegt hat und warum sie handelten wie sie es taten, braucht man eben diese Nähe, die bei Koeppen nicht zugelassen wird. Nicht nur wird das Lesevergnügen geschmälert, sondern das Geschriebene geht auch im kontinuierlichen Strom, der auf uns einstürmt, unter. Denn man behält nur jenes im Gedächtnis, was einen bewegt und das tut dieser Roman leider nicht. Daher sehe ich seine Relevanz auf die rein dokumentarische Ebene begrenzt.