Rezension

Theater Avignon

Die Liebe ist eine Insel - Claudie Gallay

Die Liebe ist eine Insel
von Claudie Gallay

Bewertet mit 5 Sternen

Wie jedes Jahr im Sommer kommen Tausende von Besuchern nach Avignon zum weltberühmten Theaterfestival im Schatten des Papstpalastes. Doch diesmal legt ein Streik der Bühnenarbeiter das Festival lahm, und während die Sonne gnadenlos auf die Stadt niederbrennt, wird eine Vorstellung nach der anderen abgesagt.
Odon Schnadel ist einer der wenigen, der in seinem kleinen Theater sein Programm wie geplant spielt. Denn das Stück des unglückseligen Autors Paul Selliès, der unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, liegt ihm besonders am Herzen. Auch Marie, Pauls traumatisierte jüngere Schwester, ist gekommen, um das Vermächtnis ihres Bruders auf der Bühne zu sehen. Doch als die berühmte Theaterschauspielerin und Odons große Liebe Mathilde Monsole wieder in Avignon auftaucht, geraten die Dinge außer Kontrolle. Denn sie alle sind Teil eines tragischen Geheimnisses, das sich um dieses letzte Werk von Paul Selliès rankt. ( Verlagsseite) 

Vor allem zweierlei steht im Fokus des Buches: Die Liebe in all ihren Facetten, als leidenschaftliche Liebe, die zwischen einer Frau und einem Mann einmal zerbrochen ist, als Liebe zwischen Eltern und Kindern, als Geschwisterliebe, als freundschaftliche Liebe und als Menschenliebe generell. Für jeden Bereich ein eigener Protagonist, der, wie im realen Leben, auch vielfältige Formen der Liebe empfindet.
Das zweite ist das Theater. Zum einen spielt der Roman zur Zeit des Theaterfestivals in Avignon, zum anderen sind die meisten Figuren irgendwie mit dem Theater verbunden, und obendrein gehört ein kleines Theater zu den wichtigsten Orten der Handlung. 

Der gesamte Roman ist ein Theaterkunstwerk.
Die Stadt Avignon, begrenzt durch die Mauern des Papstpalastes, bildet die Bühne, einen geschlossenen Raum, in dem sich die Tragödien und Komödien der Handlung abspielen. Am Ende nimmt eine der Personen Avignon als Insel wahr. Auch eine Bühne ist eine Insel.
Die kurzen Kapitel zeigen Ausschnitte wie Szenen des Ganzen. Keine ausgefeilten Schnitte, keine langen Passagen, sondern lediglich Fragmente dessen, was im Kopf des Lesers zur Geschichte wird.
Die Sprache der Dialoge ähnelt weniger der der wirklichen Gespräche, sondern wirkt wie eine Kunstsprache, die man vor allem im Drama findet.
Auch die Figuren sind eher umrissen als klar gezeichnet, so, als würde man sie nur für einen kleinen Ausschnitt des Alltags verwenden und danach nach Hause entlassen.
Und nicht zuletzt die Beschreibungen des Interieurs, der Häuser, der Rhône und der sengenden Sonne über vertrockneten Straßen und Plätzen: kurze knappe Sätze wie Regieanweisungen zum Bühnenbild. 

Mehrere Geschichten werden erzählt, wie wechselnde Aufstellungen in einem Reigen. Irgendwie scheint jeder mit jedem verbunden, durch familiäre Bindungen, durch die Arbeit am Theater, durch Erinnerungen an die Vergangenheit.
Man darf keine erzählte Handlung erwarten, keine intensive Auseinandersetzung emotionaler Momente, keine klar überschaubaren Abläufe. Dann kann das Buch begeistern. Allein schon durch die Kunstfertigkeit der Autorin, ein Theaterstück als Roman zu riskieren. Oder umgekehrt.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 15. Januar 2015 um 18:01

Hm, hm, also das macht mich (zumindest momentan) irgendwie nicht an. Aber da du es mit 5 Sternen bedacht hast, muss es ein prima Leseerlebnis gewesen sein.