Rezension

Thematik gut umgesetzt, Figuren jedoch oftmals sehr anstrengend

Klassenziel - T. A. Wegberg

Klassenziel
von T. A. Wegberg

Bewertet mit 3 Sternen

Bücher über Amokläufe gibt es mittlerweile wie Sand am Meer - da ist es wirklich schwer, die guten Bücher herauszufischen, was mir stellenweise nicht immer so ganz gelingen mag. Bei "Klassenziel" war ich demnach schon ein bisschen skeptisch, jedoch hat mir das Buch am Ende doch ganz gut gefallen, auch wenn ich zugeben muss, dass der Inhalt an einigen Stellen doch so manche Schwäche aufweist.

T.A. Wegberg hat mit "Klassenziel" einen sehr intensiven Roman geschaffen, der sich gut mit dem Thema Amoklauf und dessen Folgen auseinandersetzt. Die jeweiligen Gefühle der einzelnen Figuren wurden dabei sehr gut und authentisch beschrieben und die Art und Weise, wie jeder mit dieser Situation umgeht, wurde ebenfalls ausführlich und glaubwürdig erzählt. Die Geschichte spielt abwechselnd in der Gegenwart und in der Vergangenheit, sprich: Vor und nach dem Amoklauf. Die Entwicklung ist dabei sehr intensiv und mitreißend, besonders die Gespräche zwischen Jamie und dem Amokläufer, seinem Bruder Dominik. Die Figuren selbst werden ausführlich beschrieben, man lernt ihre Gedanken und Gefühle gut kennen und zum gewissen Teil fand ich diese auch sympathisch. Mein Problem war an diesem Buch jedoch Jamie, den ich zum Großteil meist nur als anstrengend empfunden habe.

Sicherlich war es für ihn nicht leicht, nach dem Amoklauf seines Bruders ansehen zu müssen, wie seine Freunde beerdigt wurden und wie er in eine Stadt ziehen musste, weil er in seiner Heimatstadt nicht mehr erwünscht war. Dennoch konnte ich so manches Verhalten von ihm nicht nachvollziehen. Bereits vor dem Amoklauf war er laut eigener Aussage sehr beliebt und musste nie etwas dafür tun, um Anerkennung zu erhalten. Er hatte gute Noten, einen großen Freundeskreis und eine Band, mit der er regelmäßig aufgetreten ist. Durch den Amoklauf hat er jedoch viele Freunde verloren und muss dazu den Tod seines Bruders verkraften. Auch wenn sein Bruder der Amokläufer war, kann Jamie das Geschehene nur schwer mit seinem Bruder in Verbindung setzen. Er trauert um seine Freundin, um seine besten Freunde, aber auch gleichzeitig um seinen Bruder, den er in gewisser Weise auch als Opfer ansieht. 

Obwohl mir Jamie stellenweise leid tat, musste ich dennoch über sein Verhalten oftmals den Kopf schütteln, da er meiner Meinung nach viel zu sehr von sich überzeugt war. So erwähnt er ständig, wie beliebt er doch war, wie sehr die Mädchen ihn mochten und in wie vielen Dingen er doch besser als sein Bruder war. Während er alles zugeworfen bekam, musste Dominik stets kämpfen. Er hatte kaum Freunde, bekam fast nur noch schlechte Noten und kapselte sich immer mehr ab, da er immer nur im Schatten seines kleinen Bruders stand. Natürlich ist Dominiks Verhalten nicht entschuldbar und natürlich war er mir auch nicht sympathisch, aber stellenweise tat er mir wirklich leid, weil er sein gesamtes Leben immer nur im Schatten stand und von den anderen Menschen meist nur belächelt wurde. 

Die anderen Figuren, wie z.B. Kenji fand ich in Ordnung, wenn auch zum Teil suspekt. Jamies neue Mitschüler in Berlin sind alle auf ihre Art recht eigen, mal mehr, mal weniger sympathisch, aber allesamt recht distanziert, sodass man diese eher weniger gut kennen lernen durfte, was ich jedoch nicht weiter schlimm fand, da das Hauptaugenmerk klar auf Jamie lag. 

Etwas, was ich sehr merkwürdig fand, war der Umgang untereinander. Jamie erwähnt die ganze Zeit, dass er auf Mädchen stehe und es schon immer gewohnt war, bei den Mädchen gut anzukommen. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass er und seine neuen Freunde sich immerzu umarmen und küssen, u.a. auch Kenji. Man muss bedenken, dass sie alle im Alter von 14 und 15 Jahren sind, da fand ich das Verhalten ein wenig merkwürdig und es hat auch nicht zum restlichen Verlauf der Geschichte gepasst. Wieso sollte Jamie jetzt plötzlich einen anderen Jungen küssen, wo doch immerzu gesagt wird, wie sehr er auf Mädchen stehe, etc? Dies war u.a. einer der Momente, die ich absolut nicht nachvollziehen konnte. 

Die Gestaltung des Covers ist schlicht: Zwei Einschusslöcher, ein Rotstift und ansonsten Leere, was ich jedoch mehr als gelungen finde, da es sehr gut zum Thema passt. Auch der Titel ist mehr als gelungen. "Klassenziel" klingt gut und sagt einiges zu Dominiks späteren Verhalten aus. Die Kurzbeschreibung ist nett, verrät in meinen Augen jedoch stellenweise fast schon zu viel. 

"Klassenziel" ist insgesamt ein interessantes Buch zum Thema Amoklauf, welches mich zum Teil beeindrucken konnte, jedoch muss ich auch zugeben, dass ich bereits weitaus bessere Bücher zu dieser Thematik gelesen habe. Dennoch konnte mich "Klassenziel" durchaus schockieren und überraschen, dennoch konnte ich über gewisse Schwächen nicht hinwegsehen, sodass ich das Buch zwar gut finde, es jedoch nicht allzu lange im Gedächtnis bleiben wird. Dennoch würde ich das Buch jedem empfehlen, der sich näher mit der Thematik beschäftigen möchte.