Rezension

Thematisch interessant, aber leider mit Schwächen

Vox - Christina Dalcher

Vox
von Christina Dalcher

Das Sprache eine wichtige Bedeutung hat, das ist kein neuer Aspekt in Dystopien. Im Gegenteil z.B. weiß schon George Orwell in 1984 das Sprache ein Mittel sein kann, um deutlich zu machen, wie sich eine Gesellschaft verändert hat.

Christina Dalcher stellt sich nun die Frage was eigentlich bedeutet, wenn ganze Bevölkerungsgruppen ihre Sprache verlieren sollen - weil es ihnen verboten ist, sie überhaupt zu Nutzen. Frauen wird es verboten mehr als 100 Wörter pro Tag zu sprechen, so die Ausgangslage des Romans. Allerdings befinden wir uns hier nicht etwa in einer bereits an diese Tatsache gewöhnten Gesellschaft,:rolleyes: sondern in einer Umbruchssituation. Die Erwachsenen Frauen sind gut ausgebildet und waren es gewohnt zu arbeiten, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten und wären niemals auf die Idee gekommen, das der Zustand wie er im Roman herrscht, überhaupt jemals im Amerika des 21.Jahrhunderts wieder möglich wäre.

Inhaltlich ein interessantes Buch, das aber auch die Ängste wiederspiegelt, wie sie von Trumpgegnern und auch den Kritikern an radikalen christlichen Gruppierungen (deren politische Macht in den USA nicht zu unterschätzen ist) geäußert werden. So gibt es deutliche Parallelen zu den jetzigen Zuständen in den USA und ich die Figur des Carl - dem wichtigsten religiösen Führer mit Einfluss - rekruiert auf verschiedene evangelikale Führungsfiguren. Gleichzeitig versucht die Autorin auch aufzuzeigen, wie schnell diese Entwicklungen von statten gingen.

Dieser Punkt ist ihr meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Die schleichenden Entwicklungen, die viele Aktivisten*innen erst bemerkt haben, als sie plötzlich vor den vollendeten Tatsachen standen. So möchte die Erzählerin ihren Reisepass verlängern und muss feststellen, das es Frauen schlichtweg nicht mehr gestattet ist das Land zu verlassen. Oder auch die Auswirkungen die der Wortzähler auf das Leben hat. Die Angst vor der Bestrafung (in Form eines Stromschlages der bis hin zum Tod führen kann), aber auch der öffentlichen Demitütigung ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Sonia, die Tochter der Erzählerin ist gar stolz darauf an einem Tag die wenigste Wortanzahl der Klasse gesprochen zu haben.

Die Sprache auf ein Minimum zu reduzieren ist dabei nur Ausdruck des ganzen Weltbildes, das die radikalen Gruppen im Roman vertreten. Dabei steht die Vorstellung im Mittelpunkt das Gott den Mann erschaffen hat und die Frau aufgrund der Tatsache, das sie aus seiner Rippe geschaffen ist, unter ihm steht und ihm dienen muss. Sie braucht keine Schuldbildung, da sie für den Haushalt und die Kinder zuständig ist - für nicht mehr und nicht weniger. Die Ehe ist der Mittelpunkt der Gesellschaft, Sex vor der Ehe oder Ehebruch werden mit Arbeitslager bestraft. Homosexualität (und alles dazwischen, drüber und drunter) gilt als Heilbar, auch hier droht das Arbeitslager, sofern diese Menschen nicht heteronorm heiraten und bald Kinder vorweisen können, um zu beweisen das sie nicht nur um sich zu retten geheiratet haben. Nicht umsonst heißt der Roman Vox - lat. Stimme.

Die Schwäche des Romans liegt einerseits in der Art und Weise wie die Handlung aufgebaut wird.Ständig erfährt man in Rückblenden, was vor den Entwicklungen passiert ist und wie es dazu kam. Ich persönlich hätte es interessanter gefunden eine bereits an die Zustände gewöhnte Gesellschaft zu erleben, in der aber manchen deutlich klar ist, das sich etwas ändern muss.Andererseits zeigt der Roman so natürlich, das man gerade in Umbruchsituationen eventuell noch am ehesten etwas zum Besseren verändern kann und eventuell noch Dinge wieder umkehren kann, bevor es zu spät ist. Bevor sie so selbtverständlich geworden sind, das sie nicht mehr umkehrbar sind - weil niemand sie mehr hinterfragt. Trotzdem, die Rückblenden fand ich etwas ermüdend.

Zweitens war die eingebaute Liebesgeschichte einfach völlig überflüssig für den Roman. Die Handlung hätte absolut ohne sie funktioniert, zu Mal sie auch für die Beziehung zwischen Jean und ihrem Mann aufgrund der weiteren Entwicklungen ebenfalls unnötig wurde. Das fand ich schade, weil hier meiner Meinung viel Potential verschenkt wurde. Ich fand, das die Autorin das Konzept mit Sprache und den wenigen Worten noch etwas stärker hätte ausbauen können. Auch das Spannungsfeld in ihrer Familie hätte ruhig noch mehr Tiefe haben können. Vor allem ihr Sohn Steven handelte ehrlich gesagt ziemlich Stereotyp und man merkte das Konstrukt dahinter. Ich gebe zu, das mir hier aber auch andere Entwicklungen nicht so gut gefallen haben. Das liegt daran, das plötzlich immer mehr Gegner auftauchen, das ist zwar schön und gut, aber wirkt an vielen Stellen arg herbeigewünscht.

Immer wenn es mal sperrig wird, wenn Probleme auftauchen, werden sie schön praktisch gelöst. Dummerweise aber so, das ich die Konstruktion immer wieder durchschauen konnte. Die Autorin gibt selbst an den Roman innerhalb von nur wenigen Wochen geschrieben zu haben - um ehrlich zusein merkt man das. Vieles bleibt mir persönlich zu oberflächlich.

Auch wenn der Roman andererseits wirklich wichtige Themen anspricht. Etwa das auch Feministinnen keinesfalls eine homogene Strömung darstellen und das gerade schwarze Feministinnen sich diskriminiert fühlen, das viele Menschen erst etwas unternehmen wenn es bereits zu spät ist (etwa direkt nach einer Wahl zu protstieren, statt schon vorher aktiv zu werden) oder eben auch die Frage, welche Macht eigentlich der aktiven Rechten und evangelikalen Gruppen in den USA gegeben werden. Explizit sind die Entwicklungen nur auf die USA bezogen. Einer USA die recht deutlich das USA nach der Wahl Trumps meint. Wer sich noch nicht so sehr mit diesen Fragestellungen beschäftigt hat, wird sicher neue Denkanstöße erhalten, wer das schon vorher getan hat, wird sich vielleicht auch ein bisschen langweilen und vielleicht noch bestätigt in seiner Meinung fühlen. Da ich aber in erster Linie lese um mich zu unterhalten, fand ich das zum Teil eben ermüdend mit einer leicht durchschaubaren Handlung.Das finde ich deshalb Schade, weil VOX eben eine interessante Idee hat und gerade durch den Fokus auf die Macht von Sprache und welche Bedeutung sie auch dafür hat, auch kulturwissenschaftliche Theorien einbindet.

An einigen Stellen konnte ich trotz meiner Kritikpunkte nicht aufhören zu lesen. Mein Hauptinteresse lag dabei auf der reinen Tatsache, was dieses Nichtsprechen mit den Frauen anstellt. Ich habe mich auch immer wieder selbst gefragt, wie ich zu den verschiedenen Punkten stehe, die der Roman kritisch hinterfragt. Ich finde es ist eine unglaublich erschreckende Vorstellung Sprache nicht mehr zu benutzen. Das geht ja schon bei der Äußerung von Gefühlen los. Jean kann ihrer eigenen Tochter kaum noch richtig Sagen, das sie sie liebt. Selbst Handzeichen sind nicht möglich, da hier auch die Nonverbalte Kommunikation mit einbezogen ist, etwa Handzeichen.

Kurz gesagt:
VOX erscheint mir vor allem als Roman, der jetzt die Sparte "wir brauchen jetzt Aufgrund der hohen Nachfrage ganz schnell feministische Romane" bedient, dabei aber meiner Meinung nach sein volles Potential nicht ausschöpft. Trotzdem behandelt er wichtige Themen und kann sicher auch zum Nachdenken anregen. Ich persönlich fand ihn insgesamt aber eher mittelmäßig.

Ich vergebe 3,5 Sterne