Rezension

Tolle Ansätze bleiben leider stecken

Was bleibt von uns - Golnaz Hashemzadeh Bonde

Was bleibt von uns
von Golnaz Hashemzadeh Bonde

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Kind von Wurzeln, nicht von Sand

„Erst klopfte ihr Herz in mir, und jetzt klopft es an meiner Wange, und bald wird es ohne mich klopfen. Bald wird mein Herz schweigen, aber ihres wird weiterschlagen und meinen Rhythmus in sich tragen.“

Inhalt

Als Nahid die Diagnose Krebs bekommt und sich mit der Problematik ihres baldigen Sterbens auseinandersetzen muss, beginnt sie rückblickend eine Art Innenschau von dem, was sie in jungen Jahren bewegte, von Menschen und Taten, die ihren Weg begleitet haben, von der Bürde die eigene Familie in der Heimat zurückzulassen, um sich in der Fremde ein besseres, freieres Leben aufzubauen. 

Gleichzeitig spürt man ihren immensen Wunsch, noch nicht zu sterben, ihre letzte verbleibende Zeit auf Erden zu nutzen und wenigstens noch einmal ihre Enkeltochter kennenzulernen, die noch im Bauch der Mutter wächst. Die Verbindung zwischen Müttern ist ihr wichtig, könnte ein Weg sein, um sich der eigenen Tochter wieder anzunähern, sich mit dem Verlust der mütterlichen Zuwendung in jungen Jahren auszusöhnen und der Chance, die Liebe an die nächste Generation weiterzugeben. Für ihr Enkelkind möchte sie noch ein wenig länger leben, selbst wenn sie der Ansicht ist, das es ihr selbst nicht gelungen ist, das Leben zu führen, welches sie sich erträumte, weil sie immer ein Kind von Sand geblieben ist, so sieht sie nun endlich die Zeit gekommen, in der ein kleiner Mensch ein Kind von Wurzeln sein kann, ohne die Angst sich nirgendwo zuhause zu fühlen.

Meinung

Die iranische Schriftstellerin Golnaz Hashemzadeh Bonde, wuchs selbst als ein Flüchtlingskind in Schweden auf und nimmt diesen Hintergrund als den Aufhänger in ihrem ersten Buch auf Deutsch. Allerdings geht sie noch eine Generation zurück, denn Nahid, die Hauptprotagonistin hat ihre Kindheit und Jugend noch im Iran verbracht und musste erst als junge Erwachsene mit dem eigenen Kind und Mann fliehen, um nicht in die Fänge der Staatsgewalt zu geraten. Hier beginnt ihr „zweites“ Leben in Schweden, einer Heimat für die Tochter, aber niemals für sie selbst.

Prinzipiell hat dieses Buch alles, was ein Lieblingsbuch für mich ausmachen könnte: eine bewegende Hintergrundgeschichte, die Flucht, politische Vertreibung und den Verlust der eigenen Heimat als Schwerpunkt setzt. Eine traurige Gegenwartshandlung, die nicht nur vom baldigen Sterben überschattet wird, sondern von sämtlichen Erinnerungen, die eine Menschenseele in sich trägt. Bis hin zu einer intensiven, konzentrierten Sprache, die sich auf das Innere fokussiert und diverse Schnittpunkte auf dem Lebensweg herausgreift und mit Substanz erfüllt.

 Und dennoch gelingt es der Erzählerin nicht, mich wirklich für die Geschichte zu begeistern. Selten bekam ein Buch mit so viel Aussagekraft und sprachlicher Fülle nur eine mittelmäßige Bewertung von mir, deshalb möchte ich hier die für mich schwerwiegenden Kritikpunkte herausarbeiten, denn wenn man damit leben kann, ist die Lektüre sicherlich ein Glücksgriff für den Leser.

Mein größtes Problem hatte ich mit der Hauptfigur selbst, die ohne Zweifel ein schweres Leben hatte und immer mit dem Verlassen und dem Verlassenwerden kämpfte, doch ihre Art, ständig sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und vorwiegend andere für den Verlauf ihres Schicksals verantwortlich zu machen, hat mir sehr missfallen. Sie erlebte körperliche Gewalt in der Ehe, aber damit kannte sie sich aus, so war es schon bei ihrer Schwester und den anderen Frauen ihrer Heimat, sie hat eine Tochter geboren, die sie als ihre wichtigste Aufgabe im Leben ansah und mit der sie doch so wenig gemeinsam hat. Die sie jetzt in der eigenen Krankheitsperiode mit Vorwürfen überhäuft, obwohl die Bitterkeit gegenüber anderen nur Ursache ihrer eigenen Lebensführung zu sein scheint. 

Ein weiterer Kritikpunkt ist die weitläufige, mäandernde Themenvielfalt, die sich zu wenig auf eine Sache konzentriert und dadurch zerfasert und weniger kraftvoll wirkt. Angefangen bei der Flüchtlingsproblematik, hin zur Gewalt in der Ehe, weiter mit einer belasteten Mutter-Tochter-Beziehung, hinüber zur Auseinandersetzung mit einer schlimmen Krankheit, bis zum endgültigen Verlust des Lebens. Das war mir auf den 200 Seiten des Buches eindeutig zu viel des Guten. Hätte hier nur ein oder vielleicht am Rande ein zweites Thema mehr Präsenz bekommen, so wäre der Text für mich viel besser nachvollziehbar gewesen. 

Sprachlich überzeugt dieser Roman auf ganzer Linie: kurze Kapitel, sinnvolle Zeitsprünge, reflektierende Momentaufnahmen, die sich wunderbar als Rückblick auf das Leben eignen und natürlich die intensive, kraftvolle Sprache, die ebenso klar und ausgeprägt wirkt, wie der Charakter der Protagonistin. Hin und wieder ein philosophischer Gedankengang, der zum Nachdenken anregt und ein richtig gutes, versöhnliches Ende, bei dem ich das gefunden habe, was ich mir im Vorfeld bei jeder Seite wünschte.

Fazit

Ich vergebe für diesen Roman, der laut Klappentext voller Freude, Leid, Liebe und Wut erzählt wird leider nur 3 Sterne. Eine zerrissene Mutterfigur, die vom Leben geprägt wurde und sich bemüht ihre Ängste unter Kontrolle zu bekommen, um es ihrer Tochter leichter zu machen, scheitert für mich in ganz vielen kleinen Punkten, ihr Resümee ist so voller Schwermut und Hadern mit all den Entwicklungen, dass ich mich am Ende gefragt habe, warum es ihr nicht gelungen ist, irgendwann in ihrem Leben für mehr Glück und Lebensfreude zu kämpfen. Hier steht für mich der Inbegriff der Stagnation im Zentrum und die Anklage gegen Gott und die Welt. Und vielleicht sind es tatsächlich die fehlenden Sympathiewerte, die mir diese Lektüre vermiest haben. Ein Buch aus dem ich gerne zwei Geschichten machen würde, mit stärkeren Nebenfiguren und mehr positiver Resonanz.