Rezension

Trennungsgeschichte

Das Glück
von Gert Hofmann

Bewertet mit 2 Sternen

„Als der Vater ans Packen ging, war es schon lange hell. Die Vögel trieben sich im Garten rum und fraßen uns die Würmer weg.“ So beginnt Gert Hofmanns „Familienroman“ Das Glück  und so beginnt jener denkwürdige letzte Tag, bevor – am Abend – der Lastwagen kommt und den Rohrstuhl und den Bücherkoffer und die wenigen Kisten und Kästen und den Vater und den Sohn abholt, um sie nach Rußdorf (oder „nach Berlin“ oder „nach irgendwo“) zu bringen; zu Hause jedenfalls ist kein Platz mehr, vor allem für den Vater nicht, seit die „Ehe mit eurer Mutter nach langem Leiden  dahingegangen ist“ und der Neue, Herr Herkenrath, sich für den Abend angekündigt hat, „um das alles hier und eure Mutter zu übernehmen“.
Der zehnjährige Ich-Erzähler berichtet manchmal arglos und manchmal mit wunderbarer List von den Tücken des Um- und Auszugstages und warum Eltern manchmal so entsetzlich und Schwestern so doof sein können. Und warum das Familienleben manchmal ein löchriger Käse ist.

Dieser Klappentext hat mich vor ca. 20 Jahren zum Kauf dieses Buches animiert. Nur reichte die Zeit zum Lesen nie. Nun widme ich mich endlich meinen ungelesenen Büchern, auch den älteren. Doch was erfrischend angekündigt wird, langweilte mich bald. Denn dieser eine Tag ist 287 Seiten lang! Auf denen lernte ich einen Mann kennen, der davon träumt ein Schriftsteller zu sein, doch nichts zustande bringt. Die paar verkauften Seiten wurden jedes mal groß gefeiert. Das Geld zum Leben verdiente jedoch die Mutter.
Der kindliche Ich-Erzähler beobachtet ohne jegliches Gefühl, was sich vor seinen Augen so abspielt: Das Schweigen der Eltern, die Lethargie des Vaters, der sich selbst bemitleidet und die Mutter, die sich für Herrn Herkenrath schön macht. Durch die indirekte Erzählweise wird das ganze Dilemma, in dem sich jedes einzelne Familienmitglied befindet, sehr deutlich.

Trotzdem hat mir das Buch so gar nicht gefallen! Ich entwickelte einen regelrechten Zorn auf den mitleidheischenden Vater. Zwar gab es auch immer wieder kurze Episoden, die mir zumindest ein Grinsen aufs Gesicht zauberten, aber die Ausführlichkeit, in der hier erzählt wird, ärgerte mich ebenso, wie die Eltern, die ausschließlich an sich denken und das Elend der Kinder übersehen.

Gert Hofmann (1931 bis 1993) schrieb Hörspiele, in denen Sprach- und Gesellschaftskritik im Vordergrund standen, und erzählte in seinen Romanen mit Vorliebe von seelisch und körperlich beschädigten Protagonisten.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 25. Juni 2022 um 08:29

Eigentlich bemerkenswert - widmet sich beeinträchtigten Menschen. Aber es ist unbegreiflich, wenn Leute an ihren Träumen festhalten obwohl sie ständig damit scheitern. Man kann andere Träume träumen ... ich denke, mit fortschreitendem Alter kann man dieser Art von Literatur nichts mehr abgewinnen, die Lebenserfahrung hindert einen daran.