Rezension

Vergangenheitsbewältigung

Die Möglichkeit von Glück -

Die Möglichkeit von Glück
von Anne Rabe

Bewertet mit 4 Sternen

Anne Rabe hat einen Roman geschrieben, in dem sie der Vergangenheit ihrer Familie auf den Grund zu gehen versucht. Seit Stine, die Erzählerin, ebenso alt wie die Autorin, selbst Kinder hat, meidet sie den Kontakt zur eigenen Mutter immer mehr. Zu grausam waren deren Erziehungsmethoden. Sie selbst will es (wie die meisten Mütter) besser machen.

„Ich denke an das kleine Mädchen, das ich war und das sich immer falsch gefühlt hat, zu Hause, in der Schule und bei den Familien meiner Freunde. Ich wollte so gern dazugehören, aber ich hatte keine Chance. Ich ahnte nichts von dem, was die Leute in mir sahen.“
Geboren drei Jahre nach dem Mauerfall, war Stine schon alt genug, um die Veränderungen zu fühlen, die ihren Eltern und Großeltern zu schaffen machten und sie verunsicherten. Die Angst vor den staatlichen Organisationen war so tief in sie eingedrungen, dass sie ihr Leben auch in der Freiheit noch danach richteten. Um ihre Kinder bloß nicht zu verziehen, legte Stines Mutter eine Strenge an den Tag,  die auch Grausamkeiten nicht ausschloss. Sie führte all das weiter, was ihr schon vorgelebt worden war.
Dieser teilweise verstörende Roman, der sehr authentisch wirkt, ist an vielen Stellen eher eine biografische Bestandsaufnahme. Die Autorin fragt, wo diese Art zu Leben herkommt und schaut genau auf die Prägungen der vorangegangenen Generationen. In inverser Schrift hält sie zusätzliche, erläuternde Gedanken fest. Sie greift das Schweigen auf, das alles Negative auszublenden versucht. Und fragt: „Wie soll eine Welt ohne Vergangenheit eine Zukunft haben?“
„Unser Geschichtsunterricht endete am 7. Oktober 1949 – Gründung der DDR, der Deutschen Demokratischen Republik. Als wäre da endlich alles vorbei gewesen.“
Opa Paul passte sich an, vergaß die Vergangenheit, die noch in ihm steckte – egal ob nach der Hitlerzeit oder nach der Wende. Wegen des absolvierten Studiums (als Dank für ein systemtreues Leben?) waren die Chancen wieder die Füße auf den Boden zu bekommen größer als bei anderen.
„Opa Paul hat viele Leben geführt. Das Leben im Lumpenproletariat der Weimarer Republik, das Leben als Kanonenfutter, das Leben al Propagandist der SED und zum Schluss das Betrogenen. Was waren diese Leben wert? Diese Leben, von denen er nicht sprechen konnte, weil er sie immer wieder verstecken und überschreiben musste.“

Mich hat das Buch über eine lange Strecke sehr angesprochen. Ich erfuhr einiges, was mir als im Osten lebender Wessi neu war. Die aus dem Dritten Reich übriggebliebenen Erziehungsmethoden gab es allerdings im Westen auch (noch). Die „Erbschuld“ lässt sich also nicht leugnen.
Gegen Ende hat mich Autorin verloren. Da wurden mir ihre Gedanken zu fremd.
Trotzdem ist das ein Buch, dessen Lektüre sich lohnt und zum Nachdenken anregt.