Rezension

Vielversprechender Auftakt zu einer spannenden Dystopie-Reihe

NOX. Unten - Yves Grevet

NOX - Unten
von Yves Grevet

Bewertet mit 4 Sternen

Zum Inhalt:

Eine riesige Stadt an einem Berghang, gespalten durch eine undurchdringliche Wolke aus Schmutz. In der Oberstadt leben die Reichen, atmen saubere Luft und genießen Wasser und Licht im Überfluss. In der Unterstadt leben die Armen in ständiger Dunkelheit, Dreck und Gestank. Ihre Lebenserwartung ist aufgrund ihrer natürlichen Umgebung und anstrengender körperlicher Arbeit niedrig. Weitere Lebensgefahr droht durch die radikale Miliz der Unterstadt, die - von der korrupten Polizei unterstützt - nicht nur Terroristen verfolgt, die für die Wiedervereinigung von Ober- und Unterstadt kämpfen, sondern auch Unschuldige willkürlich einsperren, foltern und ermorden.

Der 17jährige Lucen lebt in der Unterstadt und wird später einmal - so will es das Gesetz - den Beruf seines Vaters als Restaurator ausüben. Er liebt die aufmüpfige Firmie - eine Verbindung, der seine Eltern feindlich gegenüber stehen.

Lucens bester Freund Gerges tritt in die Fußstapfen seines Vaters, dem Anführer der Miliz, doch sieht sich bald mit einer nicht endend wollenden Spirale aus Gewalt und Terror konfrontiert. Wird er sich für seine Freunde oder für die Miliz entscheiden?

Die 15jährige Ludmilla wächst indes wohlbehütet in der Oberstadt auf. Als ihr Vater, der eine mächtige Position innehat und kaum zu Hause ist, ihr geliebtes Kindermädchen zurück in die Unterstadt und damit in den sicheren Tod schickt, wächst Ludmillas Widerstand gegen das politische System. Sie will Martha um jeden Preis retten, doch dafür braucht sie die Hilfe eines Menschen aus der Unterstadt - Lucen.

Meine Meinung:

Mit "NOX" hat Yves Grevet ein sehr bedrückendes Weltbild erschaffen. Die Schilderungen, wie die Armen in der Unterstadt leben, sind sehr beklemmend, und man kann sich kaum vorstellen, dass es Menschen gelingen kann, sich mit solchen Lebensbedingungen arrangieren zu können.

In der Unterstadt gibt es kein natürliches Licht, doch auch künstliche Lichtquellen sind so kostbar, dass jeder spezielle Schuhe tragen muss, die durch die Laufbewegungen Lichtquellen speisen und Batterien aufladen. Die Menschen leben auf unterschiedlichen Höhen - je niedriger, desto ärmer. Am Schlimmsten ergeht es den "Unterhundert", die niedrige Dienste verrichten müssen. So müssen Unterhundert-Kinder z. B. in den Wänden reicherer Unterstädter mittels Pedalen Licht erzeugen oder bei Tierwettkämpfen die Kadaver beseitigen.

Die Wolke ist undurchdringlich, so dass man sich ohne künstliches Licht nur blind vorwärts bewegen kann. Deshalb sind die anderen Sinne der Unterstädter extrem gut ausgeprägt, man erkennt sich z. B. am Geruch und kann auch im Dunkeln komplizierte Handgriffe erledigen.

Aufgrund der kurzen Lebenserwartung muss die Fortpflanzung so früh wie möglich geschehen. Bereits mit 15 Jahren müssen sich die Mädchen der Unterstadt auf ihre Rolle als Mutter vorbereiten. Um keine Zeit zu verschwenden, werden bei Paaren "Kompatibilitätstests" durchgeführt (ein anderes Wort für vorehelichen Geschlechtsverkehr). Zu einer Heirat kommt es nur, wenn diese erfolgreich waren, also das Mädchen schwanger ist.

Die Menschen unterhalb der Wolke sind im Vergleich zur den Bewohnern der Oberstadt minderwertig, was sich vor allem in den Namen und Begrifflichkeiten widerspiegelt. Jeder Name ist eine Verstümmelung der Namen, die in der Oberstadt getragen werden, z. B. Lucen (Lucien), Jea (Jean) oder Katine (Katrine), das Gleiche gilt für Produkte wie Lebensmittel (Mich statt Milch, Bro statt Brot). 

Der Schreibstil ist angenehm zu lesen und recht einfach gehalten. Der Autor skizziert die Welt von NOX sehr detailliert und anschaulich, so dass man sich alles sehr gut vorstellen kann. Auch seine Protagonisten sind ausgefeilte Charaktere. Der Leser lernt sie von Seite zu Seite besser kennen, erhält Einblicke in ihr Innenleben und kann so ihre Handlungsweisen nachvollziehen.

Die Geschichte wird abwechselnd aus Lucens, Gerges' und Ludmillas Sicht erzählt. Entgegen des Klappentextes, der ihn als "Feind seines einst besten Freundes Lucen" beschreibt, war mir auch Gerges anfänglich noch ziemlich sympathisch. Bei ihm wird besonders deutlich, wie stark das kranke politische System einen eigentlich friedliebenden Menschen verändern kann. Auch Ludmilla wird im Laufe der Geschicht viel reifer, verlässt ihre Komfortzone, hinterfragt vieles und wird letztendlich selbst aktiv, obwohl sie von ihrem Vater streng überwacht wird. Lucen wirkt auf mich etwas naiver als die anderen beiden Protagonisten, er ist einfach ein gutmütiger Kerl, tut jedoch alles, um sich, Firmie und seine Familie zu schützen. Auch Firmies Blickweise auf die Geschichte hätte mir gut gefallen, denn sie hat eine starke Persönlichkeit. Das Cover der Fortsetzung lässt jedoch erahnen, dass ihr im zweiten Teil eine größere Rolle zukommen könnte. 

Generell ist die Handlung recht spannend, wenngleich ich doch manche Passagen etwas langatmig fand. Durch die drei Sichtweisen werden Szenen - aus unterschiedlichen Blickwinkeln - teils dreifach geschildert. Nicht immer war dies nötig und deshalb etwas langweilig, da die Geschichte so nur langsam vorwärtsschreitet.
 
"NOX. Unten" ist der Auftakt einer Buchreihe. Der nächste Band mit dem Titel "NOX. Anderswo" erscheint im September 2015. Der vorliegende Band endet leider mit einem großen Cliffhanger rund um Lucen, Gerges und Ludmilla, der durch einen kurzen Epilog abgemildert wird, in dem man knapp erfährt, wie es den dreien in den folgenden Monaten ergehen wird.

Ich fühlte mich durch "NOX. Unten" gut unterhalten und bin gespannt auf die Fortsetzung, die mehr Action verspricht als der erste Teil.