Rezension

Voller Mystik und Leid - aber wunderschön!

Die Glocke im See - Lars Mytting

Die Glocke im See
von Lars Mytting

Bewertet mit 4.5 Sternen

Norwegen 1880: Die junge Agnes Hekne lebt in einem abgeschiedenen Tal, wo sich der Fortschritt der Welt nur sehr langsam und zögerlich zeigt. Wie seit Jahrhunderten kämpft die dortige Bevölkerung damit, im viel zu kurzen Sommer das Überleben für die lange Winterzeit zu sichern - nicht immer mit Erfolg. Das Leben ist hart und karg, mühsam muss dem Boden das Lebensnotwendige abgerungen werden. Doch Agnes will mehr als solch ein Leben wie ihre Vorfahren. Der neue Pastor Schweigaard ist für sie ein Symbol der modernen Zeit: er kennt die Welt, liest Zeitungen aus der Stadt und hat neue Ideen und die Energie, diese zu verwirklichen. Da die alte Kirche zu klein und sehr renovierungsbedürftig ist, plant er den Bau einer neuen und verkauft die alte nach Deutschland. Um den Abbau zu begleiten und zu protokollieren, kommt der junge Architekturstudent Schönauer aus Dresden in das ferne Tal. Wie der Pastor verliebt auch er sich in Agnes und sie fühlt sich ebenfalls zu ihm hingezogen.
Nein, das ist keine billige HerzSchmerzliebesgeschichte, sondern ein wundervoller Roman über eine Zeit, in der die Menschen gezwungenermaßen in Einklang mit der Natur leben mussten. Dies zeigt auch der Glaube an mystische Wesen, der weit verbreitet war, wie dieses Buch an vielen Stellen beschreibt: "... die den Kindern von klein auf eingeredet wurden. Die Arbeit erlaubt es den Erwachsenen nicht, die spielenden Kinder zu beaufsichtigen, und da war es besser, solche Geschöpfe auf Jauchegruben, Dachböden und Brunnen aufpassen zu lassen, denn selbst wenn die Kleinen sich dorthin wagen und vorsichtig über den Rand blicken sollten, so hielten sie sich dann wenigstens zurück."
Der Autor beschreibt sehr ausdrucksvoll und anschaulich nicht nur die Schönheiten dieser Gegend, sondern auch die teils elenden Verhältnisse, unter denen die Menschen zu leiden hatten. Schlechtes Wetter und Krankheiten konnten jederzeit den Tod bedeuten; ein zu langer, kalter Winter stürzte die Menschen in eine Hungersnot oder ließ sie erfrieren.
Es ist eine schöne, etwas altertümlich klingende Sprache, die offenbar herausragend ins Deutsche übersetzt wurde. Beate Rysopp als Vorleserin macht ihre Sache wundervoll und versteht es, mit wenigen Nuancen jeder Person ihren eigenen charakteristischen Klang zu geben. Ruhig, häufig etwas melancholisch, aber auch voller Freude gibt sie sehr überzeugend die jeweiligen Stimmungen wider. Eine tolle Wahl!
Trotz der eher düsteren Grundstimmung und einem höchstens Viertel-Happyend ist es eine wundervolle Lektüre, die auch (etwas) Hoffnung verleiht. Es werden bessere Zeiten kommen!