Rezension

Voller Sprachmagie

Die letzte Dichterin - Katharina Seck

Die letzte Dichterin
von Katharina Seck

Bewertet mit 4 Sternen

Aus dem Königreich Phantopien ist die Kunst und damit auch die Magie weitestgehend verschwunden. Nur in Fernab ist noch ein Rest davon aus früheren Zeiten erhalten, was die Hauptstadt des Landes zu einem Anziehungspunkt für viele Menschen macht. Darunter ist auch die Dichterin Minna Fabelreich, die mit ihrem dicken Buch voller Geschichten durch Phantopien zieht, um sich irgendwie über Wasser zu halten. Als sie jedoch den Schatzsucher Finn Minengräber beim Diebstahl ihres teuren Buches erwischt, zwingt sie diesen, sich mit ihr auf den Weg nach Fernab zu machen, wo beide ihr Glück versuchen wollen. Ein großes Abenteuer beginnt, das beiden einiges abverlangen und ihre Welt auf den Kopf stellen soll.

Katharina Seck schafft bereits mit ihren ersten Sätzen eine spannende, fantasievolle Sprachwelt. Ihre Landschaftsbeschreibungen, die einzelnen Handlungselemente und vor allem die sprechenden Namen der Personen gebem dem Buch von Beginn an eine märchenhafte Atmosphäre. Erzählt wird aus den verschiedensten Perspektiven, was den Blickwinkel des Lesers stark erweitert und es ihm erlaubt, auch in den Kopf undurchsichtiger Figuren zu schauen. Ergänzt werden Minnas und Finns Sicht der Dinge noch durch diejenige der hartherzigen Königin Phantopiens, Malwine Wüstenherz, und ihres "Gabensuchers", Valerian Ohneruh, der seine Herrscherin zutiefst verachtet und den Grund dafür lange vor dem Leser verbirgt. Neben den sympathischen, aber recht klaren und eindeutigen Charakteren von Minna und Finn, sind diese letzten beiden deutlich komplexer gestrickt und scheinen eine leidvolle und komplizierte Vergangenheit miteinander zu teilen.

Das Magiesystem in "Die letzte Dichterin" ist ebenso einfach wie schön: Magie wird durch die Künste in die Welt der Menschen gebracht, durch Poesie, Musik, Malerei - und auf diese Weise will die Königin selbst ihren Untertanen das Verlorene wieder zurückgeben. Ein toller Gedanke, dass Magie erst durch den Menschen selbst und seine Kreativität entsteht und er macht das Leben in einer Stadt wie Fernab, in der jeder sich selbst zu verwirklichen scheint, unheimlich attraktiv. Dass der Plan der Königin jedoch nicht ohne Weiteres gelingen und von einigen Charakteren große Opfer fordern wird, gibt der Handlung die nötige Spannung und treibt sie voran.

Wenn es an diesem Roman etwas zu bemängeln gibt, dann ist es dies: er ist zu kurz. Die Geschichte ist zwar am Ende auserzählt, in sich rund und verständlich, dennoch wünscht man sich als Leser an manchen Stellen einfach mehr von dem, was Katharina Seck wirklich beherrscht: mit ihrer Sprache die Magie eines Ortes oder eines Charakters einzufangen. Ich hätte noch viel länger mit Minna und Finn nach Fernab reisen können oder noch mehr Zeit mit der Königin und ihrem Gabensucher verbringen können - einige Szenen wirken so, als würde in einem Film an einer fesselnden Stelle einfach ausgeblendet. Dem Sog der Geschichte kann man sich dennoch nicht entziehen, was den Wunsch weckt, die Autorin möge noch einmal mit uns nach Phantopien zurückkehren.