Rezension

Vom Flüchtlingsdasein...

Das Ende ist nah -

Das Ende ist nah
von Amir Gudarzi

Bewertet mit 3 Sternen

Tiefe Einblicke in das Leben im Iran zur Zeit der Revolution 2009 - und in das Leben eines von dort Geflüchteten, eines Asylbewerbers in Ö.

Während der Proteste im Iran 2009 ist der ehemalige Student A. gezwungen, sein Land zu verlassen. Die Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend voller Gewalt nimmt er mit. Aus einem Künstler wird ein Flüchtling in Österreich, der offen und heimlich verachtet wird und in Lagern und Heimen nicht nur Einsamkeit und Verzweiflung, sondern auch Hunger und Demütigung ertragen muss. In Wien trifft er auf Sarah, die sich Hals über Kopf in ihn verliebt. A., der sich nicht öffnen kann, ist für sie Studienobjekt und Halt zugleich, obwohl er selber Halt sucht. Eindringlich und mit großer literarischer Kraft erzählt Amir Gudarzi vom Durchhaltewillen eines Menschen auf der Flucht. (Verlagsbeschreibung)

Bei solchen Romanen bin ich hinsichtlich der Bewertung immer hin und her gerissen. Die biografischen Daten von Amir Gudarzi lassen vermuten, dass vieles von dem, was hier im Roman geschildert wird, seinem eigenen Erfahrungen entspricht, dass wir es hier also mit einer Autofiktion zu tun haben. Die schwierigen Lebensumstände verlangen einen unbedingten Respekt, den ich ihnen auch gerne zolle, aber ein Roman ist eben kein Tatsachenbericht, sondern löst auch etwas bei den Lesenden aus. Das Leseerlebnis war für mich einerseits sehr eindringlich, andererseits aber auch anstrengend und teilweise sogar nervig, vor allem zum Ende hin.

Die Erzählung gliedert sich in ein Davor und ein Danach - vor und nach der Flucht aus dem Iran. Sowohl die Schilderungen der Bedingungen im Iran zu Zeiten der Protestbewegung nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 (und auch in den Jahren davor) als auch des Daseins als Asyl-Bewerber in Österreich sind bedrückend. Dabei werden die Brutalitäten im Iran recht distanziert geschildert, was die Emotionen nahezu außen vor lässt, durch die Häufigkeit der Erwähnung erscheint die Schilderung jedoch trotzdem sehr eindringlich. Man bekommt definitiv eine Vorstellung davon, was es heißt, unter solchen Umständen im Iran heranzuwachsen und zu leben. Gerade die hier geschilderten Erlebnisse als Kind und als Heranwachsender - die Steinigung einer Frau, das Köpfen eines Mannes, das Erhängen eines weiteren Mannes an einem Kran... Was macht das beispielsweise mit einem sensiblen Kind?

Wie schwierig und bedrückend das Dasein als Asyl-Bewerber ist, wird hier ebenfalls sehr eindringlich geschildert. Das Ausgeliefertsein den Behörden gegenüber, die generalisierte Misstrauenshaltung Asyl-Bewerbern gegenüber, unzuverlässige Dolmetscher, die gegenseitigen Drangsalierungen im Asylantenheim, die Einsamkeit, die existentielle Unsicherheit, das Nichtstun, die Langeweile, der Geldmangel, der Hunger - und dazu fehlende Zukunftspläne. Stellenweise kam es mir bei der Schilderung der Zustände so vor, als würde ich etwas aus Absurdistan lesen und kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Mit der Zeit wurde es mir dann doch insgesamt zu viel des Negativen, auch wenn ich davon nur lesen und es nicht selbst erleben musste. Gab es gar keine Lichtblicke?

Nun ja, es gibt Sarah. Die deutsche junge Frau mit einem großen Engagement, das zeitweise fast schon an Besessenheit grenzt, und die A. zur Seite steht. Sie lernt Farsi und übersetzt seine Texte, da A., der im Iran die Theaterschule besucht hat, szenisches Schreiben studierte und auch fürs iranische Fernsehen Drehbücher schrieb, nicht weiß, wie es sonst mit seinem Schreiben weitergehen soll. Sarah ist für A. da, hört ihm zu, nimmt ihn als Person wahr. Aber sie verliebt sich auch in ihn - und nicht nur das. Als A. sich ihr gegenüber nicht öffnen kann und auch ihre Liebe nicht will, nimmt sie dies zum Anlass und beginnt sein Verhalten zu analysieren. Klassich nach freudschem Muster, verzerrt jedoch durch ihre eigene psychische Labilität - Sarah projeziert ihre eigenen Ängste und Probleme auf A., ihre Analysen drehen sich im Kreis, wirken immer verzweifelter. Nicht nur A. wurde dies im Verlauf zu viel. Ich fand es stellenweise unerträglich und konnte bis zum Schluss nicht erkennen, wofür es diese Figur in dieser Charakterzeichnung überhaupt gab. Statt die Erzählung voranzubringen, geriet A. zueweilen durch die Konzentration auf Sarah gänzlich aus dem Fokus. Ich rätsel immer noch.

A. selbst ist jemand, der eher für sich zu sein scheint und der niemanden wirklich an sich heranlässt. Das war wohl bereits im Iran so - vereinzelte lose Kontakte, die man aber auch jederzeit wieder lösen kann, das genügt ihm offenbar. Andererseits kümmert er sich situativ durchaus um diejenigen, die um Hilfe bitten und bringt dafür auch persönliche Opfer. Die psychische Belastung, die die Entwurzelung und der Status als zunächst nicht bestätigter und später als abgelehnter Asylant im Widerspruchsverfahren mit sich bringen, wird anhand der Figur von A. ebenfalls sehr drastisch geschildert. Diese schwierige psychische Situation erscheint plausibel und schon beim Lesen unerträglich.

Gerade die psychischen Folgen des Flüchtlingsdaseins hat wohl kaum ein Außenstehender auf dem Schirm. Aber das "Verrückte" war A. auch irgendwie immer schon zueigen, für ihn gibt es da einen Zusammenhang mit dem Künstlertum. "Schon immer habe ich mich von den Menschen zurückgezogen und wollte als Verrückter, als Außenseiter gelten. Ich identifizierte mich mit van Gogh und Antonin Artaud. Ich sah in Depression und Verrücktheit eine Quelle fürs Schreiben." (S. 348) Deshalb gilt wie immer: wie Lebensumstände erlebt und verarbeitet werden, hängt eng mit der eigenen Persönlichkeit zusammen, Stichwort Resilienz... Damit negiere ich natürlich nicht all die möglichen Folgen der schrecklichen, traumatischen Erlebnisse. Das Ende des Romans setzt den "Verrücktheiten" dann jedoch noch die Krone auf, ein Akt dichterischer Freiheit, der, nun ja, noch einmal für maximale Verstörung sorgt. Muss nicht gefallen - hat es auch nicht. Aber es schmälert auch nicht die Aussage des Romans als solche.

Gewalterfahrungen, Willkür, Traumata, Folter, Unterdrückung, Flucht, Einsamkeit, Unerwünschtheit, Ungewissheit, Angst und Misstrauen - eine erschreckende Summe von Unerträglichem. Der Erzählstil wahrte jedoch konsequent eine Distanz, die ich nicht zu überbrücken vermochte. Verstörend und bedrückend - durchaus, unbequem dazu. Aber die Menschen, allen voran A. mit all seinen Erfahrungen, blieben mir irgendwie bis zum Schluss fremd.

Leider.

 

© Parden