Rezension

Vor den Augen der Mitbewohner verhungert

Wir sind das Licht -

Wir sind das Licht
von Gerda Blees

Bewertet mit 5 Sternen

In einem Reihenhaus in den Niederlanden: Elisabeth van Hellingen stirbt an einem frühen Morgen an Unterernährung. Ihre drei Mitbewohner der Wohngruppe Klang & Liebe sind dabei. Peter Zwarts, Muriel de Vree und Elisabeths Schwester Melodie sind ebenfalls abgemagert. Sie werden festgenommen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.

„Wir sind das Licht“ ist der Debütroman von Gerda Blees.

Meine Meinung:
Aufgeteilt ist der Roman in 25 eher kurze Kapitel. Bei jedem wechselt die Erzählperspektive. Das Ungewöhnliche dabei: Erzählt wird nicht nur aus der Sicht von menschlichen Figuren, sondern auch aus der von Gegenständen und sogar eher abstrakten Begriffen. Das funktioniert - mit nur kleinen Unstimmigkeiten - sehr gut und sorgt für ein besonderes Lesevergnügen. 

Die Handlung spielt in einer nicht näher beschriebenen Stadt in den Niederlanden. Sie erstreckt sich über wenige Tage. Erzählt wird chronologisch, unterbrochen von nur wenigen Rückblenden.

Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überzeugt. Die Ausdrucksweise variiert ausreichend zwischen den unterschiedlichen Perspektiven. Zudem verfügt der Roman - trotz der ernsten Thematik - über eine Menge Wortwitz.

Zu den vier Protagonisten bleibt man in gewisser Distanz. Das hält die Spannung aufrecht. Obwohl man nicht viele Details zu den persönlichen Hintergründen der Personen erfährt, wirken die Charaktere authentisch.

Inhaltlich ist der Roman beklemmend. Wie kann es so weit kommen, dass eine erwachsene Frau ohne Not an Unterernährung stirbt? Wie kann es sein, dass ihre Wohngemeinschaft tatenlos zugesehen hat? Diesen zwei Fragen geht die Geschichte nach, die lose auf einer wahren Begebenheit basiert: Die Autorin wurde von dem Tod einer Frau im Sommer 2017 inspiriert, die in einer Wohngruppe in Utrecht lebte. Im Roman werden die näheren Umstände eines solchen Vorfalls geschildert. Unfassbar und unbegreiflich ist mir das Ganze aber dennoch geblieben, und so soll es vermutlich auch sein. Der unnötige Tod hat mich betroffen und nachdenklich gemacht. 

Thematisch ist der Roman durchaus sehr aktuell und hat auch gesellschaftspolitische Dimensionen. Es geht um psychische Manipulation, alternative Wahrheiten, das Negieren von wissenschaftlichen Tatsachen und ähnliche Aspekte, die ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte.

Trotz der Dramatik der Ausgangssituation ist das Erzähltempo eher ruhig. Die Handlung auf den weniger als 240 Seiten ist darüber hinaus überschaubar. Dennoch konnte mich der Roman konstant fesseln. Schlüssig und stimmig ist für mich, dass die Geschichte nicht alle Fragen komplett beantwortet und Platz für eigene Interpretationen lässt.

Der deutsche Titel ist wortgetreu aus dem Niederländischen („Wij zijn Licht“) übernommen. Er passt sehr gut zum Inhalt. Das gilt auch für das ungewöhnliche Cover.

Mein Fazit:
„Wir sind das Licht“ von Gerda Blees ist ein aus erzählerischer und inhaltlicher Sicht sehr außergewöhnlicher und lesenswerter Roman. Eine empfehlenswerte Lektüre, die noch lange nachhallen wird.