Rezension

Was ist ein Leben wert?

Die Unwerten - Volker Dützer

Die Unwerten
von Volker Dützer

Bewertet mit 5 Sternen

„...“Das Haus Gottes steht jedem offen, der in Not gerät.“ „Auch den Juden?“ Er lächelte. „Aber warum denn nicht? Irre ich mich, oder war nicht auch Jesus Jude?“...“

 

Wir schreiben den 22.12.1939. Mathelehrer Pilz ist dafür bekannt, seine Schüler zu schikanieren. Heute hat er es auf Hannah abgesehen. Die erleidet einen Ohnmachtsanfall.

Der Autor hat einen spannenden und bedrückenden historischen Roman geschrieben. Dafür hat er sich eines der dunkelsten Themen der deutschen Geschichte herausgesucht, die Euthanasie.

Der Schriftstil ist den Zeitverhältnissen angepasst. Er spiegelt die Angst, aber auch den Hass und die Unmenschlichkeit wider.

Hannah hat es so schon nicht einfach. Sie ist Halbjüdin und wird deshalb von einigen Mitschülern belauert und bedroht. Ihr Zusammenbruch deutet auf Epilepsie hin. Damit gerät sie in die Fänge des medizinischen Apparats und der Organisation T4.

Nach der ersten Untersuchung gelingt ihr mit Hilfe ihrer Mutter die Flucht. Hilfe bekommen sie von dem Pfarrer Claudius Brendel. Das Eingangszitat gibt ein Gespräch mit ihm wieder.

Die Personen werden gut charakterisiert. Hannah ist ein intelligentes Mädchen. Sie liest mit Begeisterung. Außerdem nimmt sie sich der Schwächeren an. Sehr gut arbeitet der Autor heraus, wie die Zeitverhältnisse und die Erlebnisse sie beeinflussen. Wie geht ein Mensch damit um, wenn er jeden, den er mag, nach und nach verliert?

Ihr Gegenspieler ist Joachim Lubeck. Der Arzt möchte seinen Vater nicht enttäuschen. Mit einer weniger sanften Drohung wird er dazu gebracht, seine Mitarbeit in T4 zu erklären. Es dem Mitläufer aber wird ganz schnell ein willfähiger Täter. Er bekommt nicht, was er will. Nun treiben ihn Hass und Rache. Sein Vorgesetzter gibt ihm zu verstehen:

 

„...Heyde hat mich mit ihren labilen Charakter vertraut gemacht. Sie können es weit bringen, aber dazu müssen Sie härter werden...“

 

Und er wird es.

Die Verhältnisse in den Krankenhäusern und Anstalten werden vom Autor gekonnt angedeutet, aber glücklicherweise nicht bis ins Letzte ausgeschmückt. Nach ihrer Einlieferung trifft Hannah auf die Zwillinge Thea und Ruth. Sie gelten als nicht erziehbar. Vor allem Ruth hat die Gabe, aus jeder Situation das Beste für sich zu machen. Dazu gehört auch, dass sie sich im positiven Sinn um Hannah kümmert.

Auch wenn bei manchen Personen ausgespart wird, was sie in der Gestapohaft oder im KZ erlebt haben, zeigt ihr Verhalten danach die Spuren, die sie für die Zukunft prägen.

Im Roman werden verschiedene Lebensbilder vorgestellt. Verrat konnte selbst dort lauern, wo man es nicht erwartet hat.

Manche Szenen werden sehr bildhaft wiedergegeben. Das betrifft insbesondere den Einblick in die Psyche der Protagonisten. Nochmals darf Lubeck zu Wort kommen:

 

„...Das erklärte auch, warum er sich in Malishas Gegenwart minderwertig und unreif fühlte. Sie war das Spielzeug, das der kleine Junge in ihm haben wollte. Und wenn er es nicht bekommen konnte, würde er es unter seinen Füßen zertreten...“

 

Sehr gut ausgearbeitete Gespräche erlauben mir einen Einblick in die Gedankenwelt der Protagonisten. Dabei ist häufig schon die Wortwahl ein Beleg für die innere Einstellung.

Ich darf das Auf und Ab im Leben der Protagonisten bis 1946 begleiten.

Ein Nachwort des Autors vertieft die politischen Zusammenhänge.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es erlaubt nur ein Fazit: Nie wieder! Kein Regime hat das Recht, über die Würdigkeit des Lebens zu entscheiden.