Rezension

Was lange währt, wird endlich gut

Unter der Mitternachtssonne - Keigo Higashino

Unter der Mitternachtssonne
von Keigo Higashino

Bewertet mit 5 Sternen

Keigo Higashinos Roman „Unter der Mitternachtssonne“ erschien in Japan schon im Jahr 1999, wurde 2015 ins Englische übersetzt und kommt erst jetzt in der deutschen Übersetzung auf den Markt.
In Osaka wird 1973 der Pfandleiher Yosuke Kirahara in einem leer stehenden Gebäude ermordet aufgefunden. Kommissar Sasagaki und sein Team ermitteln ohne Erfolg. Zwei Verdächtige kommen einige Zeit später ums Leben, andere haben ein Alibi. Der Fall wird zu den Akten gelegt. Nur der Polizist verfolgt die Lebenswege der übrigen beteiligten Personen über einen Zeitraum von fast 20 Jahren - sogar noch nach seiner Pensionierung - und stößt immer wieder auf Unstimmigkeiten und Bezüge zu dem ungelösten Fall. Ganz besonders hat er Ryo, den Sohn des Opfers und Yukiho Nishimoto, die Tochter einer mittellosen Frau, in deren Haus das Opfer häufig ging, im Blick. Beide sind in mehrfacher Hinsicht auffällig. Ryo und die schöne, charismatische Yuhiko verfügten schon frühzeitig über sehr viel Geld unbekannter Herkunft. Sie waren allerdings Kinder, als der Mord geschah. Ryo schlägt schon in jungen Jahren eine kriminelle Laufbahn ein. Er stiehlt u.a. die Software von Computerspielen in der Entwicklung, die noch nicht urheberrechtlich geschützt sind. Sasagaki fällt auf, dass im Lauf der Jahre eine große Zahl von Personen aus dem Umfeld dieser Beiden zu Schaden oder ums Leben kommt und für immer verschwindet. Seiner Ansicht nach existiert zwischen ihnen eine geradezu symbiotische Beziehung, die der Autor anhand eines Beispiels aus dem Tierreich leitmotivisch immer wieder aufgreift. Sie sind wie der Knallkrebs und die Wächtergundel. – ein Paar fürs Leben. Der Leser dieses ungewöhnlich umfangreichen, nicht ganz leicht zu lesenden Krimis folgt den Ermittlungen des Kommissars mit nie nachlassendem Interesse. Für ihn kommt die Auflösung nicht völlig überraschend. Der kompliziert aufgebaute Roman ist spannend und besticht durch eine sorgfältige Charakterzeichnung auch bei den Nebenfiguren. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven, so dass sich allmählich die vielen Mosaiksteinchen zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Nicht alles wird jedoch aufgeklärt, vor allem nicht für die Beteiligten. Die umfassendsten Informationen hat am Ende der Leser. Sehr gut gelungen ist auch die Einbeziehung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds – vom Riesenerfolg des Nintendo-Spiels Super Mario Bros., einem der einflussreichsten Spiele aller Zeiten, bis zur unaufhaltsamen Verbreitung von Computern in Privathaushalten, vom wirtschaftlichen Boom in Japan bis zur Flaute und zum Ölpreisschock.
Mir als Higashino-Fan hat auch dieser Roman sehr gut gefallen und ich warte schon sehnsüchtig auf die nächste deutsche Übersetzung eines Titels aus dem umfangreichen literarischen Schaffen des zu Recht berühmten Autors.