Rezension

Was wäre, wenn ...?

Das Leben eines Anderen -

Das Leben eines Anderen
von Keiichirō Hirano

Bewertet mit 4 Sternen

Wer kennt nicht das verlockende Gedankenspiel, sich vorzustellen wie es wäre, ein anderes Leben zu führen? Was wäre, wenn ... ? Wäre es tatsächlich so faszinierend? In dem Roman „Das Leben eines Anderen“ des japanischen Bestsellerautors Keiichirō erfährt der Protagonist Akira Kido die Antworten auf genau diese Fragen.

Der Text ist aus der Perspektive des Rechtsanwalts Kido geschrieben, der zufällig für seine Klientin Rie in einem Fall von Identitätstausch ermitteln muss. Ries Ehemann ist bei Waldarbeiten tragisch verunglückt. Nach seinem Tod wird klar, dass der Verstorbene unter einer falschen Identität gelebt hat und nicht der war, der er vorgab zu sein. Rie will der Frage auf den Grund gehen, mit wem sie verheiratet war. Kido kommt scheibchenweise der wahren Identität des Taniguchis Daisukes auf die Spur und legt die tragische Geschichte des toten Mannes offen. Die wahren Beweggründe erschüttern nicht nur die Protagonisten und erklären das Lügengerüst. Während dieser emotionalen Ermittlung wird dem Anwalt auch bewusst, dass seine eigene problembeladene Ehe nur noch am seidenen Faden hängt. So spielt auch der Anwalt mit dem Gedanken, seine Identität für eine andere aufzugeben….
Die literarische Auseinandersetzung mit dem bekannten Motiv des Identitätstausches ist im Großen und Ganzen gelungen, da sich der Protagonist vertieft mit der philosophisch-moralischen Frage, wie man mit so einer Lüge leben kann, auseinandersetzt und plausible Antworten bereithält. Neben sehr spannenden Kapiteln trifft der Leser jedoch auch bisweilen auf Passagen, die zu langatmig wirken und die Geschichte nicht weiterbringen. Interessant sind in jedem Fall aber die vielen Informationen über die japanische Kultur und Gesellschaft, die en passant vermittelt werden.
Dieser japanische Roman ist bisher der einzige Text des Autors, der in die deutsche Sprache übertragen wurde und liegt in der Übersetzung von Nora Bierich vor. Der Stil des deutschen Textes wirkt bedauerlicherweise an manchen Stellen sehr „altbacken“. Hier stellt sich die Frage, ob das bewusst so gemacht wurde oder der Übersetzung geschuldet ist. Sollte letzteres der Fall sein, wäre eine Überarbeitung wünschenswert, da der moderne Inhalt im Kontrast zu dieser gestelzten Sprache steht.
Aufgrund der spannenden Geschichte und den vielen Informationen über die japanische Kultur und Gesellschaft kann ich die Lektüre jedoch empfehlen und würde weitere Werke des Autors zur Hand nehmen.