Rezension

Wegweiser für Nachfolger

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von Gunnar Engel

Bewertet mit 4 Sternen

Ein wegweisendes Buch. Aber ich würde nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Als Pfarrer Gunnar Engel, einem Burnout nahe, als medizinischer Notfall in der Isolationszelle eines Krankenhauses landete, war ihm klar, dass sich etwas ändern musste in seinem Leben. Allein und völlig auf sich und Gott zurückgeworfen, musste er lernen, tiefer nach Gott und seiner eigenen Identität zu suchen. Was er fand, war ein engerer Kontakt zu seinem Schöpfer und ein neu geschenktes Leben, das sich auf die biblischen Worte gründet „Hier bin ich - sende mich.“ Von dieser Erfahrung spricht er in seinem Buch. Dabei stellt er den Leser immer wieder vor herausfordernde Fragen, wie „[...] ist dein Glaube eher eine kleine Garnitur deines eigentlichen Lebens? Das Sahnehäubchen auf deinem Alltag?“ - „Würde Jesus das Christentum, das wir landauf, landab in Gemeinden erleben, [...] als christlich identifizieren?“

Der Gedanke, dass diese drei kleinen Worte, „Hier bin ich“, ein Gebet sind, war mir vorher noch nicht gekommen, und er ist faszinierend, kraftvoll, neu. Allein das war es schon wert, dieses Buch gelesen zu haben. Abraham sprach diese Worte, ebenso Mose, Samuel, Jesaja, Hananias. Ihre Geschichten erzählt Pastor Engel auf ansprechende Weise nach und gibt seinen Ausführungen ungewöhnlicherweise den Überbau von drei Kapiteln mit den Titeln „HIER“, „BIN“, „ICH“. Als roter Faden fungieren die Erlebnisse und Erkenntnisse einer Bergwanderung, die der Autor unmittelbar nach seiner Genesung unternahm, und die - im wahrsten Sinne des Wortes - eine Perspektivänderung bewirkte. Zur guten Strukturierung des Textes trägt übrigens auch das hervorragende Design des SCM Verlags bei.

Es ist ein junges Buch, geschrieben von einem jungen Pfarrer und wohl in erster Linie für junge Leute geschrieben. Stilistisch ist das nicht immer hundertprozentig rund, und manche Gedankensprünge waren für mich erst auf den zweiten Blick nachvollziehbar. Dabei schreibt er aber offen und authentisch; es erschließen sich faszinierende Zusammenhänge, und ich hatte eine ganze Menge spannender Aha-Momente, hin und wieder getrübt durch eine gewisse fahrlässige Ungenauigkeit in der Argumentation. Nicht alle Bilder passen immer wie angegossen. „Siehst du den Weg deines Lebens und deines Glaubens offen vor dir? Oder schaust du immer wieder in die Karte, weil du die Abzweigung nicht verpassen willst?“ - Lasst es mich als alte Jakobspilgerin mal so sagen - es kann auf dem Weg extrem hilfreich sein, hin und wieder mal in die Karte zu gucken ... Und was bitte sollen solche Sätze wie „Wenn wir nicht das Gefühl haben, dass wir mit der Aufgabe, die Gott uns gibt, komplett und hoffnungslos überfordert sind, haben wir den Kontakt zur Realität verloren.“ Klingt cool, ist aber unsinnig. Meine Meinung. Aber wie er andererseits die Mose-Geschichte erzählt, scharfsinnig die Psyche des großen Anführers auf den Punkt bringt, das ist großes Kino. Diese biblischen Nacherzählungen habe ich sehr gerne gelesen. Ich mag ja so flapsige Formulierungen wie „Das auserwählte Volk hat die Karre komplett gegen die Wand gefahren.“ Nur die Einführung des Propheten Jesaja gefiel mir nicht; hier phantasierte der Autor doch ein bisschen zu viel herum.

Die Idee, die vier Teile des Satzes „Hier - bin - ich - sende mich“ jeweils als Überschriften über die größeren Abschnitte zu setzen, ist so genial wie problematisch - ein wenig zerfasert nun die klare Schlichtheit des biblischen Ausspruchs in interessant aufgedröselter, aber doch auch komplexer Theologie. Einen breiten Raum nimmt dabei das nicäanische Dogma ein, dass Jesus Gott ist; mit diesen Passagen des Textes konnte ich mich am wenigsten identifizieren. Den Schluss hingegen fand ich wieder sehr überzeugend und so abgerundet, dass ich das Buch mit einem Lächeln abschloss. Die Lektüre war auf jeden Fall ein Gewinn, brachte viele spannende Denkanstöße. Manches fand ich noch nicht wirklich ausgereift, empfand aber viele Passagen als inspiriert und wegweisend.

Am Ende hat es mich dann sehr überrascht, dass es im Propheten Jesaja eine Stelle gibt, wo es Gott selbst ist, der zu uns spricht: „Hier bin ich, hier bin ich!“ - wie als wären wir, wenn wir das sagen, nur Gottes Spiegelbild - und das sind wir ja auch, wenn man die Schöpfungsgeschichte liest ...

Gott schuf den Menschen nach seinem Bild,
Nach dem Bild Gottes schuf er ihn [...]

(1. Mose 1. 27)

Kommentare

wandagreen kommentierte am 03. Dezember 2020 um 20:43

"Lasst es mich als alte Jakobspilgerin mal so sagen - es kann auf dem Weg extrem hilfreich sein, hin und wieder mal in die Karte zu gucken ..." aber so was von. Und wenn die Karte dann sogar die Heilige Schrift ist, kann ich das Kartenlesen nur empfehlen. Allerdings auf dem Jakobsweg (oder anderen irdischen Wegen) ist eine geographische Karte sogar unabdingbar. Wenn man nicht in Bärenfallen enden möchte. Oder so. Die jungen Pfarrers sollten erst noch leben und denken lernen, bevor sie Büchers schreiben.

Arbutus kommentierte am 10. Dezember 2020 um 21:42

*grins*

lesesafari kommentierte am 10. Dezember 2020 um 22:00

Du solltest professionell Rezis für SCM schreiben. Nach 3 Sätzen weiß ich genau, wo diese Erfahrungsbücher veröffentlicht wurden. Die Inhalte haben unbedingten Wiedererkennungswert.