Rezension

Weitet den Blick

Sara auf der Suche nach Normal -

Sara auf der Suche nach Normal
von Wesley King

Bewertet mit 4 Sternen

Wesley King hat mich schon einmal berührt – mit seinem Debüt „Daniel is different“, die Geschichte eines Jungen mit Zwangsstörung. „Sara auf der Suche nach Normal“ ist gewissermaßen eine eigenständige Vorgeschichte. Im Zentrum steht die fast 12jährige Sara Malvern. Leser*innen von „Daniel is different“ dürfte sie bekannt sein.

Wieder fühlt sich Wesley King – der selbst unter verschiedenen psychischen Erkrankungen leidet – intensiv in das Denken und Fühlen eines Teenagers ein, der bzw. die anders ist und unter dieser Andersartigkeit leidet. Wieder verbindet er diese authentischen Einblicke mit einigen spannenden, detektivischen Elementen.

Sara hat eine bipolare Störung, eine Generalisierte Angststörung, leichte Schizophrenie und Depressionen. In der Schule wird sie Psycho-Sara genannt. Freunde hat sie keine. Jeden Tag sieht sie sich damit konfrontiert, nicht dazuzugehören. Ihren Alltag meistert sie mit verschiedenen Strategien, letztlich aber, indem sie sich zu bestimmten als „normal“ akzeptierten Umgangsformen zwingt. Das ändert sich, als sie eine Gruppentherapie beginnt und dort die gleichaltrige Erin kennenlernt, die selbst so ihre Schwierigkeiten hat. Erin gegenüber beginnt Sara sich zu öffnen und loszulassen. Ja, ihre Probleme rücken sogar in den Hintergrund, als es darum geht, Erin vor ihrem gewalttätigen Vater zu beschützen.

„Daniel“ (der am Rande vorkommt) und „Sara“ sind nicht nur irgendwelche erfundenen Figuren, sondern echte Herzensangelegenheiten des Autors. Das spürt man bei jeder Unterhaltung, jedem Gedanken der Protagonistin, die äußerst liebevoll entworfen sind und einen großen Teil des Buches einnehmen. Wesley King vermittelt eindringlich, wie sehr Kinder/Jugendliche unter psychischen Erkrankungen leiden, spendet aber auch Hoffnung, indem er aufzeigt, wie sich Dinge lösen oder zumindest bessern lassen. Dass es wichtig ist, sich Hilfe zu suchen, Freunde zu finden, sich selbst anzunehmen.

In der Ausführung wirkt der letzte Teil des Buches, in dem es darum geht, Erins Vater zu überführen, ein wenig „angehängt“. Man hätte diesen Aspekt durchgängig stärker einbinden und damit die Spannungskurve noch erhöhen können. Auch hätten einige Nebenfiguren mehr Aufmerksamkeit verdient, um die Geschichte abzurunden. Dennoch habe ich meine Zeit mit Sara genossen und sie (wieder mal) mit der Erkenntnis beendet, dass „normal“ immer auch eine Frage der Perspektive ist. Dieses Buch hilft, die Blickrichtung zu wechseln und mehr Verständnis für das vermeintlich „Unnormale“ zu entwickeln.

Mein Lieblingszitat:

„Ich habe sie nicht alle!“, brüllte Erin. „Trifft auf uns beide [Sara und Erin] zu! (…) Aber wenigstens sind wir keine Arschlöcher!“ (S. 176)