Rezension

Wenn der ewige Hunger ein Loch in Leib und Seele brennt ...

Bis zum letzten Tanz - Katharina Schöndorfer

Bis zum letzten Tanz
von Katharina Schöndorfer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Im Jahr 2018 nimmt die hundertjährige Lotte ihren runden Geburtstag zum Anlass ihr junges Leben nochmals Revue passieren zu lassen. Achtzig Jahre geht sie im Geiste zurück und beginnt mit dem Jahr 1938 als sie als Zwanzigjährige unfreiwillig in die Hauptstadt Wien gespült wird. Die früh verstorbenen Eltern lassen ihr keine Wahl, sie muss Geld verdienen, kommt erst bei Freundin Gisi unter und findet schließlich eine Arbeitsstelle in einem Wiener Kaffeehaus und eine eigene kleine Wohnung. Trotz schwerer Arbeit, ewigem Hunger und einer ewig nörgelnden Chefin macht sie weiter. Der Zufall will es, dass sie sich ausgerechnet in Erich, den Sohn der Kaffeehausbesitzerin verliebt und prompt schwanger wird. Doch Erich steht zu ihr und will sie heiraten – keifende Mutter hin oder her – aber dann passiert das Tragische – Erich muss in den Krieg … noch kann sie sich keinen Reim auf das zeitgleiche Verschwinden ihrer Freundin Gisi machen, aber sie spürt sehr deutlich, dass der Krieg auch die Heimatfront zu erreichen scheint und eine schlimme Zeit mit vielen Entbehrungen vor ihr liegt. Bei einem Hamsterbesuch in ihrer Heimat Oberösterreich erscheint ein Lichtblick an ihrem schwarzen Himmel und sie lernt den amerikanischen Besatzungssoldat Richard kennen. Erich ist seit Jahren vermisst und so beginnt sie schließlich eine zarte Liebesaffäre mit dem Befreier …

Was für ein einsames und oft angsterfülltes Leben Lotte über die Jahre führte. Man kann im Roman die Veränderungen, die damit einher gehen wunderbar nachvollziehen. Aus dem naiven schüchternen Reh, das einst vom Land in die große Stadt zog, wird eine bewundernswerte Frau, die besonders in der Nachkriegszeit, als die Entbehrungen noch allgegenwärtig waren, eine ungemeine Stärke beweist. Hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen muss sie schließlich eine Entscheidung treffen, die ihr ganzes Leben beeinflussen wird. Niemals wird sie erfahren, ob diese richtig war aber genau das macht den Roman aus. Er ist wie aus dem echten Leben gegriffen, in dem keiner von uns in die Zukunft schauen kann … Gott sei Dank!

Sehr gut hat mir an diesem Buch gefallen auch mal das Leben in Österreich zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs sowie der Nachkriegszeit kennenzulernen. Auch dort gab es unheimlich viel Zerstörung, unglaubliche Brutalität vor allem durch russische Besatzer sowie Mangel und Einschränkungen, von denen ich hier in Deutschland nicht viel gehört hat.

Alles in allem hat mir die Autorin Katharina Schöndorfer eine anschauliche österreichische Gesellschaftsstudie präsentiert, in der nicht nur Lotte, sondern auch die Nebencharaktere wie Frau Schwarz, ihre Kellner, Gisi und viele andere eine Stimme und ein Gesicht bekamen. Ich vergebe gerne 4,5 von 5 Lesesternen und empfehle das Buch besonders den geschichtsinteressierten Lesern, die auch mal andere Kriegsschauplätze und ihre Geschichte kennenlernen möchten.