Rezension

Wichtiges Buch, das sein Potenzial nicht ganz ausschöpft!

Der Sonne nach - Gabriele Clima

Der Sonne nach
von Gabriele Clima

Der „Roadmovie“ definiert ein Filmgenre, in dem oftmals eine Reise als Metapher für die Suche nach Freiheit und der eigenen Identität des Protagonisten dargestellt wird. Spätestens mit Herrndorfs „Tschick“ hat sich auch in Deutschland der Roadmovie-Roman durchgesetzt und erfreut sich großer Beliebtheit. Mich persönlich, der sich in einer Selbstfindungsphase kurz vor dem Einschreiten ins Berufsleben befindet, spricht dieses Buchgenre stark an, da oftmals die Stärke dieser Romane darin liegt, dem Leser ein locker-lebendiges Lebensgefühl, gleichzeitig aber auch Stoff zum Nachdenken mitzugeben, mit dem ich mich identifizieren kann. Vor nur wenigen Tagen ist im Hanser Literaturverlag ein ganz spezieller Genrevertreter erschienen: „Der Sonne nach“ behauptet von sich selbst, das „Ziemlich beste Freunde“ für Jugendliche zu sein und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Inklusionsdebatte zu bieten – welche Versprechen das Buch halten kann, das erfährst du in der folgenden Rezension.

 

Das Cover von „Der Sonne nach“ kann mich von der ersten Sekunde, in der ich dieses Buch in Händen halte, an begeistern. Eine zwar dezente, dennoch auffällige Farbwahl unterstreicht eine herzerwärmende Fotographie der beiden Protagonisten, die Huckepack tragend durch das Meer waten. Eine perfekte Wahl, die den Inhalt des Buchs gelungen darstellt, und zudem auch als alleiniges Motiv gut funktioniert. Das Äußere eines Buchs sollte zwar nie in die Bewertung mit einfließen, aber das bloße Lob daran erschien mir hier einer Erwähnung wert.

 

Kommen wir zum Inhalt: Für nur hundertfünfzig Seiten Buchlänge erscheint ein angesetzter Preis von vollen vierzehn Euro recht happig. Da muss die Geschichte schon einiges hergeben, um das zu investierende Geld zu rechtfertigen. Autor Gabriele Clima hat einen sehr angenehmen Schreibstil, der der Leserschaft es ermöglicht, rasch in den Lesegenuss zu starten und ihn innerhalb weniger Stunden zu beenden. Er thematisiert in seinem Werk so viele wichtige zielgruppenrelevante Streitfragen, dass das Lesen der Lektüre für eine Schulklasse der Stufen 8 bis 10 sicherlich denkbar ist und eine erzieherische Funktion erfüllen kann.

 

Dennoch bin ich, und das muss ich an dieser Stelle ehrlich zugeben, nach dem Beenden des Romans ein wenig enttäuscht zurückgeblieben. Das liegt weder daran, dass der Autor nicht schreiben könnte noch daran, dass ich die wichtigen Werte, die er seinem Lesepublikum mit auf den Weg gibt, nicht zu schätzen wüsste. Es ist tatsächlich die kurze Lauflänge des Buchs, die einige Probleme mit sich zieht:

 

Es gelingt hier nur bedingt, die beiden Hauptfiguren, um deren Beziehung zueinander das Buch handelt, zu etablieren. Ihre charakterlichen Unterschiede werden deutlich dargestellt und genau die machen ihre gemeinsame Reise ja so interessant. Dennoch erfahren weder Andy noch Dario die emotionale Tiefe, die sie hätten bekommen können. Man nimmt sich zum Beispiel viel zu selten die Zeit, die enorme innere Entwicklung, die Dario, aus deren Ich-Perspektive der Roman nun einmal größtenteils verfasst ist, durchschreitet, näher darzustellen und gedankliche Vorgänge zu vertiefen. Dadurch wirkt der Fortschritt der Handlung viel zu oft konstruiert und hinter einer künstlichen Fassade verborgen. Der Roadmovie-Roman lebt davon, dass man als Leser die Möglichkeit bekommt, facettenreiche Identifikationsfiguren auf einer persönlichen und intimen Reise zu begleiten – und da gehört meiner Meinung nach die innere Handlung zweifelsohne dazu!

 

Auch fehlt mir an vielen Stellen das gewisse Etwas, das die Lektüre von anderen Genrevertretern unterscheidet. Natürlich berührt die Tatsache, dass die Grundhandlung an einen ähnlichen, realen Vorfall angelehnt ist, auch einen ewigen Kritiker wie mich (weshalb ich an dieser Stelle sehr zum Lesen des Nachworts raten möchte). Dennoch folgt die Handlung vielen Stereotypen und schon oft gehörten Wegen, mit denen sie sich größtenteils selbst von eigener Individualität abhält.

 

Die Schiene, die Clima am Ende einschlägt, möchte mich ebenfalls nicht so ganz überzeugen. Dass beide Schüler zusammenfinden, ist doch schon zu Beginn klar. Wie sie sich Schritt für Schritt aufeinander zu bewegen, wie eine echte und innige Freundschaft durch die gemeinsamen Erlebnisse entsteht, welche Fortschritte sie zusammen erreichen – das wird alles nicht in dem Maße behandelt, wie ich es für nötig befinde. Der Autor lässt den Leser für meinen Geschmack viel zu abrupt wie eine heiße Kartoffel wieder fallen und etwas unbefriedigt zurück.

 

Dass „Der Sonne nach“ nichtsdestotrotz einen wichtigen Beitrag zur Inklusionsdebatte bietet, das möchte ich an dieser Stelle nicht bestreiten, sondern sogar unterstreichen. Er öffnet der jugendlichen Zielgruppe, der sich der Roman zuwendet, die Augen und ruft sie zu einem rücksichtsvollen, toleranten und reflexiven Lebensstil auf. Mich treffen solche direkten Aufrufe immer direkt ins Herz – und wenn sie durch eine trotz der etlichen Schwächen authentischen Freundschaftsgeschichte geäußert werden, erreichen sie die Menge noch wirkungsvoller.

 

Wenn man mich fragen würde, ob ich „Der Sonne nach“ weiterempfehlen kann, dann kann ich leider keine eindeutige Antwort darauf geben. Wer Lust auf ein im wahrsten Sinne des Wortes kurzweiliges Lesevergnügen hat und auch nicht davor zurückschreckt, einen stattlichen Preis dafür zu bezahlen, der hat hiermit definitiv meine Empfehlung: Es ist eine Lektüre, die trotz alledem Spaß macht und ihr Herz definitiv am rechten Fleck hat.

 

„Der Sonne nach“ ist ein rasantes Lesevergnügen, das wichtige Streitfragen authentisch thematisiert, durch seine zu knappe Länge aber einiges an seinem Potenzial einbüßt.

 

Ich vergebe (noch) gute drei von fünf mögliche Sternen.

Kommentare

Paperboat kommentierte am 25. April 2019 um 17:53

Ich habe zwar auch gerade dieses Buch rezensiert, aber deine Beschreibung ist so viel differenzierter =) Liest sich wirklich gut!