Rezension

Wie eine Promibiografie entsteht

Der Erzähler - Richard Flanagan

Der Erzähler
von Richard Flanagan

Bewertet mit 4 Sternen

Man muss ein wenig nachdenken, um die Krux zu verstehen - oder man liest meine Rezension.

Worum es im dem neuen Roman „Der Erzähler“ von Richard Flanagan geht, durchschaut man nicht sofort. Man ahnt mit der Zeit, es könne um die Verlogenheit der Medienbranche im engeren Sinne gehen oder um die noch größere Verlogenheit des Geldmarkts, der Banken, der Wirtschaft, der „großen weiten Welt“.

Oder einfach darum, wie eine Prominentenbiografie entsteht!

Unter diesem Gesichtspunkt ist „Der Erzähler“ einfach nur geistreich. Denn Flanagans Buch ist eine herrliche Persiflage und eine kräftige Ohrfeige für diejenigen Verlage, die sich von ihren Ghostwritern Biografien jeglicher erdenklicher prominenter Menschen erstellen lassen und diese als authentisch und wahr verkaufen.

In der ersten Hälfte des Buches verfolgt man die Bemühungen des jungen Schriftstellers Kif Kehlmann, eine Auftragsarbeit auszuführen. Er soll in Melbourne für ein renommiertes Verlagshaus als Ghostwriter die Biographie des australischen Wirtschafts-Kriminellen Nummer eins, Siegfried Heidl, schreiben. Dessen Verbrechen ist das vieler Firmen: die hochstaplerische Erschleichung von millionenschweren Krediten, den anschliessenden Transfer dieser horrenden Geldsummen von diversen Konten auf andere diverse Konten, um mit Schulden Schulden zu tilgen und so lange wie möglich zu verbergen, dass mehr als hohle Luft nie existierte. Siegfried Heidl erscheint dem tasmanischen Kehlmann wie ein Magier. Man muss groß denken, um die Welt groß hinters Licht zu führen, weil sie hinters Licht geführt werden will, erklärt dieser seinem Ghostwriter. Einem bis dato unbescholtenen integren Mann mit abgewetzten Turnschuhen an den Beinen in wirtschaftlich prekärer Situation.

Kehlmann verzweifelt an seiner Aufgabe, „Heidls Buch“ zu schreiben genau wie der Leser daran verzweifelt, Flanagans Roman zu lesen. Es geht mit beidem nicht voran. Flanagan verwendet zu viel Zeit darauf, aufzuzeigen, wie Kehlmann auf der Stelle tritt, weil Heidl die Zusammenarbeit verweigert. Dabei sitzt dem Ghostwriter der Abgabetermin im Nacken. Gleichzeitig flüstert ihm Heidl ein, dass die Welt böse ist und es verdient hätte, geneppt zu werden. Und wer nicht mitmacht, ist selber schuld und vor allem strohdumm. Heidl erinnert ein wenig an einen modernen Mephisto. Kif begreift eine alte Wahrheit: Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen.

Im zweiten Teil ist die Verwandlung passiert. Kif Kehlmann wechselte die Seiten und trägt Designerschuhe. Zu oft hat ihm Heidl eingebläut, wie dumm er ist, wenn er nicht mitmacht. Und so gelingt Kehlmann schließlich der berufliche Durchbruch, der aber leider anders verläuft als er sich das damals, als er noch unschuldig und naiv an das Gute glaubte, vorstellte. Sein Traum von einer Schriftstellerkarriere zerplatzte wie eine Seifenblase. Dank Heidl. Dank der Korruptheit im Verlagswesen. Alles ordnet sich den Zahlen unter. Echtheit ist nicht gefragt. Alles ist Blendwerk. Mache mit oder lasse es bleiben. Kehlmann macht mit, strickt mit, wird Fernsehproduzent und verkauft dieselben Illusionen, die man ihm vorher geraubt hat.

Die scharfen, übertriebenen Seitenhiebe auf die Branche sind amüsant. So wie Kehlmann die Biografie Heidls schreibt, er erfindet sie sozusagen aus dem Nichts, sind doch tatsächlich viele, unsäglich schlechte Prominentenbiografien auf den Markt gekommen. Hauptsache, es steht ein bekannter Name auf dem Cover. Flanagan treibt die Geschichte völlig auf die Spitze. Mit dem, wie er Heidl darstellt. Der nichts zu sagen hat. Und mit dem, was er aus Heidl macht.

Der Autor macht es dem Leser mit diesem Buch, dessen Grundidee großartig ist, allerdings nicht einfach. Die Handlung ist zunächst zäh und entwickelt sich wenig. Allerdings wird daran auch die Verzweiflung des Progatonisten deutlich.

Dass die Persönlichkeit des Ghostwriters nicht noch klarer herausgearbeitet ist, bedeutet nichts anderes als seine Platzhalterfunktion zu verdeutlichen.

Fazit: Flanagan ist auch mit „Der Erzähler“ ein guter Roman gelungen, der die Ghostwriterei im Verlagswesen aufs Korn nimmt und auf die Spitze treibt. Allerdings liest sich der Roman zeitweilig etwas schwerfällig.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur.
Verlag: Piper, 2018
 

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 03. November 2018 um 09:35

Du meinst wirklich, es gibt Ghostwriter? Die etwa die Bücher von Politikern, Schönheitschirurgen, Steuerberatern schreiben???? Und manchmal steht es nicht mal drin? Das kann doch gar nicht sein!!!

Aber eine schöne Rezi; das Schwerfällige würde mich wohl abhalten, den Roman zu lesen, obwohl vieles interessant klingt.